Die Mittelalter-Märchen des Thorsten W.

Unter den Angeklagten im Prozess gegen die rechtsterroristische Gruppe S., der derzeit vor dem Stuttgarter Landgericht läuft, ist mit Thorsten Wollschläger auch ein Polizeiverwaltungsbeamter. Mit Terror will er nichts zu tun gehabt haben. Sein Fall zeigt, wie normal extrem rechte Einstellungen offenbar in deutschen Polizeibehörden sind.

Eigentlich hatte er ja immer Polizist werden wollen. Thorsten Wollschläger wurde 1969 in Hamm geboren, und ist seitdem dort geblieben. Doch nachdem er die erste Fachprüfung für den mittleren Polizeivollzugsdienst nur mit „ausreichend“ bestand, wechselte er in die Verwaltung der Polizei. Fortan arbeitete er dort Verkehrsordnungswidrigkeiten ab, besaß aber auch einen Waffenschein. In seiner Freizeit trieb er sich auf Mittelaltermärkten herum. Er war nicht vorbestraft. Doch jetzt steht Wollschläger vor Gericht wegen Unterstützung der rechtsterroristischen „Gruppe S.“ – und behauptet, er habe die Gruppierung für einen Haufen von Mittelalter-Fans gehalten. Wie kann das sein?

Wollschläger ist Mittealter-Fan mit besonderem Faible für germanisch-nordische Mythologie. Auf Telegram nennt er sich „Thor Tjark Rungholt“. Seit vielen Jahren treibt er sich hobbymäßig auf Mittelalter-Märkten herum, und fährt regelmäßig zum Urlaub nach Fehmarn, wo er einen Wohnwagen hat. Dort lernt er im Juli 2017 auch den Mitangeklagten Thomas Niemann kennen. Niemann war eng mit Werner Somogyi befreundet und stellte später sein Wohnhaus in Minden für ein Treffen der Gruppe zur Verfügung.

Im Oktober 2017 findet eine Mittelalter-Reenactment-Messe in Minden statt. Niemann und Wollschläger sind auch wieder dabei, erkennen sich wieder, tauschen Handynummern aus. In den folgenden Jahren treffen die beiden sich immer mal wieder auf Mittelalter-Events. Im Herbst 2019 lädt Niemann Wollschläger in die Chatgruppe „Heimat“ ein, aus der später die rechtsterroristische „Gruppe S.“ entsteht.

Das Kennenlernen in der Reenactment-Szene befeuert die Erzählung, die Wollschläger seit dem dritten Prozesstag als Verteidigungsstrategie nutzt: Vor Gericht erzählt er, er habe das Treffen der Gruppe in Minden am 8. Februar 2020 für ein Treffen von Mittelalter-Fans gehalten, schließlich habe Niemann das ihm gegenüber so dargestellt.

Dass diese Aussage offensichtlicher Unsinn ist, beweist ein Blick in die Chats: Wollschläger äußert sich dort etwa abwertend über Muslim*innen oder teilt Links extrem rechter Internetseiten wie „Journalistenwatch“, in denen von „Merkel-Diktatur“ oder rechten Verschwörungsideologien die Rede ist. Im Prozess sagt er, er sei immer nur an Mittelalter interessiert gewesen: „Klar haben wir politisch geredet und uns kritisch geäußert“, aber nur „allgemeines tagespolitisches Geschehen, nichts Konkretes. Ich bin in der Chat-Gruppe nie angekommen, habe nie Kontakte aufgebaut.“ In der Telegram-Medienwelt eines Wollschlägers wird aus extrem rechter Propaganda bloßes Gerede über „tagespolitisches Geschehen“, das er als unpolitisch verstanden wissen will. Auf dem Treffen lehnte er es unter Verweis auf seine Anstellung im Staatsdienst ab, Geld für Waffen zu spenden, verließ das Treffen aber auch nicht früher – im Prozess erzählt er, er habe nicht vorzeitig gehen können, weil er zugeparkt gewesen sei.

Die hanebüchene Erzählung, die Wollschläger dem Stuttgarter Landgericht am dritten und vierten Prozesstag während seiner Vernehmung auftischt, soll offensichtlich dazu dienen, Wollschlägers Verbleib im öffentlichen Dienst zu ermöglichen. Der Richter scheint sich bislang auf dieses durchschaubare Spiel nicht einzulassen: Am vierten Prozesstag konfrontierte er Wollschläger mit Massen von NS-Devotionalien sowie rassistischer und antisemitischer Propaganda, die man bei ihm zuhause und auf seinem Handy gefunden hatte. Wollschlägers Entgegnung: Die NS-Devotionalien seien mit der Mitgliedschaft seines Onkels in der Waffen-SS zu erklären. Als er begann, sich um Kopf und Kragen zu reden, brach seine Verteidigung die Vernehmung ab.

Die Inszenierung als naiver Mittelalter-Fan, der bloß an die falschen Leute geraten sei, kommt damit ins Wanken. Dass er 25 Jahre in der Polizeiverwaltung tätig gewesen sein soll, ohne dass seine rassistischen und antisemitischen Positionen aufgefallen wären, scheint genauso unglaubwürdig. Und so dürfte Wollschläger, neben Franco A, NSU 2.0 und neonazistischen Polizei-Chatgruppen im ganzen Land, als ein weiteres Beispiel für die strukturelle Akzeptanz extrem rechter Einstellungen in deutschen Sicherheitsbehörden gelten.

Jacob Weyrauch