Wiedersehen vor dem OLG Frankfurt

Die Sommerpause im Prozess gegen Franco Albrecht ist vorbei

von Caro Keller (NSU-Watch)

Als am 20. Mai 2021 der Prozess gegen den Oberleutnant Franco Albrecht begann, war dies auch ein Wiedersehen von Prozessbeobachter*innen und Journalist*innen, die zu rechtem Terror arbeiten. Denn vier Monate zuvor endete an diesem Ort, dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, der Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I. – mit einem skandalösen Urteil. Der 5. Strafsenat des OLG rund um den Vorsitzenden Richter Sagebiel verkannte darin die Dimension des Mordes an Walter Lübcke und schrieb die Tat einem Einzeltäter – Stephan Ernst – zu. Den Mitangeklagten Markus H. sprach der Senat vom Vorwurf der Mittäterschaft frei. Das Netzwerk von Stephan Ernst hatten die Senatsmitglieder in den Monaten zuvor kaum und wenn dann nur widerwillig ausgeleuchtet. Der Mordversuch an Ahmed I. wurde an diesem 28. Januar nicht geahndet, Stephan Ernst wurde trotz erdrückender Indizienlage in diesem Fall freigesprochen. Ahmed I. erklärte dazu: „Alle sollen wissen: Es war eine rassistische Tat. Ich bin davon überzeugt und ich zweifle nicht daran, dass es Stephan Ernst war. Für ihn ist der Freispruch eine Bestätigung. Er hatte einen Plan, er hat darüber nachgedacht, wie man eine Straftat macht, ohne bestraft zu werden, und es hat funktioniert. Stephan Ernst ist ein Rassist. Er ist nicht allein. Es gibt viele Rassisten. Nicht nur Stephan Ernst, viele dieser Rassisten werden nun denken: ‚Wir haben es geschafft‘.“

Es war nicht die erste weitreichende Fehlentscheidung, die dieser Strafsenat zum Thema rechter Terror getroffen hatte. Derselbe Senat hatte bereits im Dezember 2017 die Anklage im Fall von Franco Albrecht vorliegen – und wies sie zurück. Es fehle ein hinreichender Tatverdacht für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, also für die Vorbereitung eines rechten Anschlags und rechter Morde. Das Gericht entschied: Statt vor dem OLG sollte das Verfahren vor dem Landgericht Darmstadt eröffnet werden und auch auch nur wegen geringfügiger Vorwürfe, unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz. Die Bundesanwaltschaft (BAW) legte Beschwerde ein, der Bundesgerichtshof gab dieser statt. Und so landete der Fall Franco Albrecht wieder beim OLG Frankfurt und auch wieder beim 5. Strafsenat, der nun unter gewechseltem Vorsitz – Richter Sagebiel ist im Ruhestand und Richter Dr. Koller übernahm –, aber sonst gleicher Besetzung wie im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I. ein Urteil über Franco Albrecht fällen soll. Die Erwartungen an eine gründliche Aufarbeitung waren also bereits zu Beginn des Prozesses gedämpft. Auch weil diese Verschleppung des Prozesses zwangsläufig dem Angeklagten zu Gute kommt.

Albrecht findet sich, wenig überraschend, wohl eher in der ersten Entscheidung des Strafsenats wieder und scheute sich nicht, dies bereits vor dem ersten Prozesstag öffentlich mitzuteilen. Ein ausführliches Interview von 45 Minuten mit dem russischen Staatssender RT Deutsch gab einen Vorgeschmack auf den Prozess. An jedem der bislang elf Prozesstage war ein von sich selbst eingenommener, redseliger Albrecht zu beobachten, der sich selbst wohl eher als Anwalt, Sachverständiger und mutiger Enthüller zugleich sieht, denn als Angeklagter. Das zeigte sich bereits am ersten Prozesstag, an dem er – schon lange nicht mehr in Untersuchungshaft – nicht etwa durch die Hintertür in den Gerichtssaal schlüpfte, sondern wie ein Popstar von der Presse umringt erste Worte der Unschuld an die Öffentlichkeit richtete. Obwohl die Journalist*innen jeden seiner Schritte fotografierten – die Unschuldsbekundungen von Albrecht wurden immerhin nicht ungebrochen reproduziert.

Im Gerichtssaal angekommen zeigten Franco Albrecht und seine Anwälte Schmitt-Fricke und Hock, wie sie die Anklage der BAW einordnen. Schmitt-Fricke begann seine Ausführungen zwar mit den Worten, dass sein Statement kein Debattenbeitrag zur Regierungspolitik sein solle, doch was folgte war genau dies: Ein Statement, das mehrheitlich aus in der (extremen) Rechten gängigen Erzählungen bestand und mit den ersten Sätzen klar machte, dass die Verteidigung von Albrecht sich für eine politische Verteidigungsstrategie entschieden hat, in der die Ansichten von Albrecht weitgehend reproduziert, die ihm vorgeworfenen Handlungen jedoch bagatellisiert werden sollen. Die Verteidigung wollte so belegen, dass ihr Mandant die Meinung der Mehrheit vertrete: Der „zivilcouragierte“ Albrecht habe die Demokratie nicht zerstören, sondern verteidigen wollen. Zeigen wollten dies die Anwälte durch das Vorlesen einer Vielzahl von Zitaten zur politischen Lage, unter anderem vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Einen weiteren Stapel Zitate hatte die Verteidigung mit dem Argument vorbereitet, es seien nur missgünstige Zeug*innen zu Franco Albrecht in der Öffentlichkeit zitiert worden, wodurch der Eindruck der wahren Persönlichkeit ihres Mandanten verfälscht worden sei. Statt dieser Stimmen führte sie nun beispielsweise Lehrer*innen und Bekannte aus der Schule des heute 32-Jährigen an, die ihn als „neugierig“ beschrieben. Der erste Prozesstag sollte nicht der letzte sein, an dem von der Bank des Angeklagten das Stilmittel von hintereinander vorgelesenen Zitaten angewendet wurde. Im Verlauf des Prozesses wollte Albrecht selbst auf die gleiche Weise zeigen, dass die CDU früher anders über Migration gesprochen habe als heute oder dass von der deutschen Migrationspolitik eine Terrorgefahr in Europa und Deutschland ausgehe.

Die massive Raumnahme von Franco Albrecht durch permanente – auch ungefragte – Wortergreifung im Prozess selbst und auch im Geschehen rund um den Prozess soll möglicherweise dazu dienen, an den vermeintlichen „Volkswillen“, den Albrecht zu vertreten vorgibt, zu appellieren und dazu Nachahmer*innen zu inspirieren, wie man es aus anderen Rechtsterror-Prozessen von Angeklagten kennt. So sprach er unter anderem davon, dass die Regierung „eidbrüchig“ geworden sei, während er weiter hinter dem Wahlspruch der Offiziersschule des Heeres und der Bundeswehr, „Wir dienen Deutschland“, stehe. Der Senat unterbrach die politische Selbstinszenierung immer wieder, man würde sich die Motivlage wohl anhören, wolle aber erst einmal zu den konkreten Vorwürfen sprechen. Es könnte aber auch genau diese Selbstinszenierung sein, die zu einer Verurteilung Albrechts führt. Zum einen räumte er bereits den Besitz eines Sturmgewehrs G3 ein, wegen dem er auch angeklagt ist, welches aber von den Behörden nie bei ihm gefunden wurde. Zum anderen lassen seine Ausführungen die Mitglieder des Senats augenscheinlich ungeduldig und ungläubig zurück. Die Aussagen Albrechts reichen ihnen nicht; der Vorsitzende Richter Koller kündigte schon am zweiten Verhandlungstag eine „große Beweisaufnahme“ an, die bis zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht geplant war. Wie schon im Verfahren zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I. spielt der Senat mit recht offenen Karten, was seine Meinung zum Fall angeht. Dieses Mal jedoch zeigen diese ein ungünstigeres Bild für den Angeklagten: Der Senat hält den Angeklagten offenbar für unglaubwürdig und legt seine Notizen durchaus als Anschlagspläne aus. Koller betonte bereits, dass das Gericht den Fall Albrecht nicht kleinkochen werde, da es einer Aufklärungspflicht unterliege, welcher es auch nachkommen werde.

Beim Wiedersehen mit dem 5. Strafsenat am Frankfurter OLG wird sich jedoch erst in den nächsten Monaten wirklich zeigen, ob er rechten Terror in diesem Fall ernst nimmt. Die Möglichkeit, das Netzwerk Albrechts zu beleuchten, die Anschlagspläne aufzuklären und die politischen Hintergründe richtig einzuordnen, hat der Senat jedenfalls. Auf eine kämpferische BAW wird er dabei aber wohl verzichten müssen, denn deren Vertreter*innen verhalten sich bislang weitgehend passiv. Nach der Sommerpause wird es zunächst weiter um die Betrugsvorwürfe gegen Albrecht gehen, bevor der Schwerpunkt auf die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gesetzt wird. Dies wird auch der Zeitpunkt sein, an dem bessere Prognosen zum Urteil möglich sein werden.

Link: [https://www.nsu-watch.info/2021/01/die-gerechtigkeit-ist-so-greifbar-sie-liegt-vor-meinen-augen-aber-ich-komme-nicht-dran-statement-von-ahmed-i-zur-urteilsverkuendung-im-prozess-zum-mord-an-walter-luebcke-und-zum-angriff-auf/]