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Der MAD – den Bock zum Gärtner gemacht?


Auszug aus dem Buch Braunzone Bundeswehr: rechtsum in der Männertruppe von Lucius Teidelbaum

Offiziell liegt eine Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes
(MAD) in der »Extremismusabwehr«: »Zu den gesetzlichen
Aufgaben des MAD gehören die Informationssammlung und
-auswertung zum Zwecke der Extremismus- und Terrorismus-
abwehr sowie der Spionage- und Sabotageabwehr.« (www.
mad.bundeswehr.de) Wenig ist darüber hinaus über den kleinsten der bundesdeutschen Geheimdienste in der Öffentlichkeit bekannt, der
seinen Namen erst seit einer Umstrukturierung 1984 trägt.

Der MAD ist quasi der Geheimdienstzweig der Bundeswehr.
Kernaufgabe des MAD sollte ursprünglich die reine Spio-
nageabwehr sein, wobei es aber nie blieb, wie im Folgenden
dargestellt wird. 2006 schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage zu den offiziellen Aufgaben des MAD: »Gemäß
§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst
ist es Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes (MAD),
Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung zu sammeln und auszuwerten. […] Die
Ergebnisse der Arbeit des MAD gehen in die Stellungnahme des
Bundesministeriums der Verteidigung zu der im Jahresbericht
des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages veröffentli-
chten Statistik über rechtsextremistische Vorkommnisse in der
Bundeswehr ein.«


Ein Geheimdienst also als Verteidiger und Garant der
freiheitlichen-demokratischen Ordnung? Grund genug, näher
hinzuschauen. Auch wenn nur wenig über die Geschichte des MAD bekannt ist, dürfte er in der Anfangszeit ebenso wie der Bundesnach-
richtendienst (BND) und sein Vorgänger, die Organisation
Gehlen, seine Mitarbeiter auch aus ehemaligen ›Fachkräf-
ten‹ des ›Dritten Reiches‹ (besonders aus Altbeständen der
74Wehrmacht, SD, SS und Gestapo) rekrutiert haben. BND
und MAD weisen damit eine gemeinsame Familiengeschichte
auf, in der ihr gemeinsamer Stammbaum in einem braunen
Wurzelwerk endet.

Sehr anschaulich wird die Geschichte des MAD am Bei-
spiel der Biografie seines ersten Kommandeurs, Gerhard Wes-
sel (1913-2002). Wessel war ein Wehrmachtsoffizier, der es bis
in den Rang eines Oberstleutnant im Generalstab schaffte. Ab
1943 war er als ›Gruppenleiter I (Feindlage Sowjetunion)‹ in
der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) im Generalsstab des
Heeres beschäftigt. Aus der Wehrmachts-Spionageabteilung
FHO sollte sich in den westalliierten Besatzungszonen die
Organisation Gehlen benannt nach dem FHO-Chef Reinhard
Gehlen (1902-1979), herausbilden. Gehlen bot kurz nach der
Kapitulation 1945 den Westalliierten eine Art Kuhhandel an.
Gegen den gesicherten Fortbestand seiner Truppe, Autonomie
und Straffreiheit versprach er den Westalliierten, besonders
den USA, Informationen über die und Informanten in der
Sowjetunion. Unter den Vorzeichen des beginnenden ›Kal-
ten Krieges‹ gingen die Westalliierten tatsächlich auf diesen
Handel ein. Einigender Kitt aller Beteiligten war ihr Antikom-
munismus. Gehlen arbeitete zuerst für die Westalliierten und
später dann für die Bundesrepublik. Aus dem Fremde Heere
Ost der Wehrmacht wurde die Organisation Gehlen und aus
dieser später der BND. Wohl nirgendwo sonst findet sich ein
derart ungebrochener Übergang einer NS-Organisation hinü-
ber in die Funktionselite der Bundesrepublik Deutschland.
Unter Gehlens Schützlingen dürfte sich damals schon
auch Wessel befunden haben. Sicher ist, dass Wessel 1955 als
Oberst i. G. – also in seinem alten Wehrmachtsrang (!) – in die
Bundeswehr übernommen wurde. Er war anschließend mit
Gründung des MAD vom Januar 1956 bis September 1957
der erste MAD-Kommandeur. Später beerbte er von 1968 bis
1978 Gehlen als BND-Präsidenten.

In Anbetracht der braunen Geburtshelfer des Bundeswehrge-
heimdienstes verwundert es nicht, dass die Feindbestimmung
vor allem zur Linken hin vorgenommen wurde. Den strikt
antikommunistischen Geist hatte man sich von früher her
bewahrt. So kam es, dass Rechte in der Truppe mit Samt-
handschuhen, Linke aber mit der eisernen Faust angefasst
wurden. Das entsprach dem lange in der Bundesrepublik vor-
herrschenden McCarthy-Geist. Der Autor Matthias Münch
schreibt 1983 über die Arbeit des MAD: »Kontaktversuche
[zu Gewerkschaften] wurden im Rahmen der Feindaufklärung
wie ein Angriffs- oder Sabotageakt behandelt.«
Als ›politisch unzuverlässig‹ galten lange fast nur Personen,
die irgendwie der Linken zugeordnet wurden. Die Bespitze-
lung reichte bis in das Umfeld der vermeintlich Verdächtigen
und so wurden auch Dossiers über Nicht-Angehörige der
Bundeswehr angelegt.


Dass der MAD lange Zeit auf dem rechten Auge blind war,
illustrieren auch die rechtslastigen Biografien ehemaliger
MAD-Funktionäre eindrücklich:
• Wolfgang Juchem, Organisationssprecher der extrem rech-
ten Kleinstorganisation Aktion freies Deutschland und als
solcher häufiger Referent bei anderen rechten Gruppen;
ist Major a. D. und ehemaliger Bundeswehrgeheimdienst-
Offizier des MAD.
• Gerd-Helmut Komossa verfasste das Vorwort zu dem im
extrem rechten Grabert-Verlag erschienen Buch Ideologie
gegen Wehrmacht-Tradition; er ist Gründungsmitglied der
deutschnationalen Gesellschaft für die Einheit Deutschlands
und seit 1989 deren Präsident. Zudem ist er der Heraus-
geber und Chefredakteur/Autor des rechten Blättchens
Forum Deutsche Einheit, Unterzeichner der geschichtsre-
visionistischen Erklärung zur Präsentation der Anti-Wehr-
machtsausstellung in der Frankfurter Paulskirche von 1997,
Referent bei der ultrarechten Staats- und Wirtschaftspo-
litischen Gesellschaft, Autor und Interviewpartner in der
76Jungen Freiheit, der DVU-nahen Deutschen Nationalzeitung
und in den Burschenschaftlichen Blättern, Schreiber für das
revanchistische Ostpreußenblatt und Leiter von dessen Res-
sorts Wehrwesen/Geopolitik). Er ist mit einer Vergangenheit
als Wehrmachtssoldat (1943-1945) Ex-Chef des MAD und
zuletzt Befehlshaber des Territorialkommandos Süd. Im
Jahr 1984 schied er als Generalmajor a. D. aus dem aktiven
Dienst aus und wurde Direktor des Forschungszentrums für
Friedenssicherung und Lehrbeauftragter an der Universität
Würzburg. Im Jahr 2002 nahm Komossa als Referent an
der fünften Wehrpolitischen Tagung des umstrittenen Stu-
dienzentrum Weikersheim, einer Kaderschmiede am rechten
Rand der CDU, teil.
• Günter Poser, ehemaliger stellvertretender Bundesvorsit-
zender der rechtsradikalen Republikaner, schrieb 1996 für
die extrem rechten Unabhängigen Nachrichten und für
Nation & Europa und engagierte sich für die inzwischen
aufgelöste rechte Kleinst-Partei Aufbruch ‘94. Er ist Kon-
teradmiral a. D. und ehemaliger MAD-Chef.
• Paul Albert Scherer, als Unterstützer der rechtslastigen
Polit-Sekte Patrioten für Deutschland um Helga Zepp-
LaRouche noch vergleichsweise harmlos, ist ebenfalls ehe-
maliger MAD-Chef.


Immerhin: Die vollkommene Erblindung auf dem rechten
Auge scheint etwas nachgelassen zu haben. Allzu offen auf-
tretenden Neonazis wird der Zugang zur Bundeswehr inzwi-
schen tatsächlich verwehrt, wie aus empörten Einträgen in
Online-Foren der Szene hervorgeht. Deswegen raten verstärkt
Kameraden Bundeswehr-Interessierten an, auf Tauchstation
zu gehen und sich unauffällig zu verhalten.


Um einen guten Einblick in die rechte Szene zu erhal-
ten, bedient sich der MAD wie seine großen Brüder Verfas-
sungsschutz und BND fragwürdiger Methoden. der MAD
unterhält nämlich, was nahezu unbekannt ist, eine eigene
V-Mannschaft. Zur Erinnerung: Mit der Unterhaltung von
77sogenannten V-Leuten in der extrem rechten Szene bietet man
Täter_innen auf der Straße und am Rednerpult ein Ein- und
Auskommen, schützt sie vor möglichen Strafen und lässt ihnen
oft noch dazu wichtige Informationen zukommen (z.B. über
bevorstehende Razzien), die dann nicht selten weitergegeben
werden. Von Kritiker_innen wird deswegen angeführt, dass
die Unterhaltung von V-Leuten der extrem rechten Szene eher
nutze und dass sie juristische Maßnahmen erschwere (wie im
Fall des geplatzten NPD-Verbots).


In Folge des Skandals um die Förderung von Neonazis
durch den Verfassungsschutz in NRW im Jahr 2007 wurde
bekannt, dass auch der MAD versucht hatte, den Neonazi
›Robin Sch.‹ in dessen Bundeswehr-Zeit für sich zu rekru-
tieren. Nach einer Meldung der Tagesschau führte der MAD
auch einen V-Mann im Umfeld der Nazi-Terrorzelle Na-
tionalsozialistischer Untergrund. Die Tagesschau berichtet
online: »Zudem ermittelte nach ARD-Informationen auch
der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr
im Umfeld der drei Neonazis. Eine Verbindung könnte der
Sprengstoff sein, den das Trio zum Bau von Rohrbomben
eingesetzt hatte. Die Explosivstoffe könnten aus Bundeswehr-
Beständen stammen. Laut ›Focus‹ wurde der MAD kurz nach
dem Untertauchen des Trios 1998 über dessen Aufenthaltsort
informiert. Ein V-Mann des MAD habe diese Information
damals an eine Außenstelle der Behörde in Leipzig weiterge-
geben – die Information sei aber in der MAD-Zentrale in Köln
liegengeblieben.« (www.tagesschau.de)


Wie jeder Geheimdienst, so ist auch der MAD eine autoritäre
und zutiefst undemokratische Institution, die sich undemokra-
tischer Methoden und Mittel bedient, wie eine unvollständige
›Unfallchronik‹ des MAD verdeutlicht:
• 1962: Bei den Ermittlungen in der sogenannten SPIEGEL-
Affäre war auch der MAD mit von der Partie. Er beteiligte
sich u.a. an den Observationen.
78• 1975: Ab Januar 1975 überwachte der MAD Luftwaffen-
piloten, die sich an der ›Aktion Fliegerzulage‹ beteiligt
hatten, einem Versuch ihren Lohn zu verbessern.
• 1977: Bei der Schleyer-Entführung 1977 wurden bei der
Fahndung 140 MAD-Experten eingesetzt, obwohl das die
Grenzen des Erlaubten weit überschreitet. De facto wurde
damals ja ein Teil der Bundeswehr im Innern eingesetzt.
• 1978: Es wurde bekannt, dass die Wohnung der Sekretärin
des Verteidigungsministers Georg Leber (SPD) ohne dessen
Wissen vom MAD überwacht wurde. Weitere Abhörakti-
onen des MAD richteten sich z.B. gegen Franz-Josef Strauß.
Da Leber Anfang 1978 davon erfahren, diese Information
aber nicht weitergereicht hatte, musste er am 16. Februar
1978 von seinem Amt zurücktreten.
Solche eigenständigen Abhöraktionen dürfen als Hinweis
für eine starke Verselbstständigung und eingeschränkte
demokratische Kontrollierbarkeit des MAD gelten.
• 1983/84: Der MAD beteiligte sich an einer Schnüffel- und
Diffamierungskampagne gegen den hochrangigen Bundes-
wehr- und NATO-General Günter Kießling. Dieser wurde
aufgrund unterstellter Homosexualität und daraus angeb-
lich resultierender Erpressbarkeit aus dem Dienst verbannt.
1984 wurde Kießling rehabilitiert und ging in Pension.
Es war nicht das letzte Mal, dass der MAD Bundeswehran-
gehörigen wegen ihrer angeblich homosexuellen Orientie-
rung hinterherspionierte.
• 2001: Im Herbst 2001 soll der MAD in der US-Militärba-
sis von Tuzla (Bosnien-Herzegowina) Geheimverhöre bei
einem 70-jährigen Ägypter, der lange in München gelebt
hatte, durchgeführt haben.
• 2002: In Kabul (Afghanistan) soll der MAD laut den Aussa-
gen eines Ex-Soldaten gegen angebliche Waffenhändler und
Labors vorgegangen sein. MAD-Aktivitäten im Ausland
sind aber erst seit 2004 gesetzlich erlaubt.

Alles in allem scheint mit dem MAD tatsächlich der Bock zum
Gärtner gemacht worden zu sein.
Auch ansonsten scheint von staatlicher Seite eine konse-
quente Präventionsarbeit gegen generelle rechte Tendenzen in
der Bundeswehr zu fehlen. So heißt es in der Antwort auf eine
kleine Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei-Fraktion im
Bundestag von Anfang 2012 zu Maßnahmen gegen Rechts-
extremismus in der Bundeswehr: »Die Vorgesetzten nutzen
dazu die politische Bildung und weitere geeignete gestal-
tende Maßnahmen zur Persönlichkeitsbildung mit dem Ziel,
bei ihren Untergebenen das freiheitliche und demokratische
Bewusstsein auf der Grundlage der Werte und Normen des
Grundgesetzes auszuprägen. Sie nutzen dazu bundeswehrein-
heitliche Unterrichtsmodule und Materialien. Extremistischen
Tendenzen treten sie mit Entschiedenheit entgegen. Dabei
greifen sie auch auf einschlägiges Informationsmaterial des
MAD und Publikationen des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz zurück.


Neben der konsequenten Verfolgung extremistischer Ver-
haltensweisen mit den Mitteln des Straf- und Disziplinarrechts
liegt der Schwerpunkt der Anstrengungen im präventiven und
erzieherischen Bereich. Dabei wird von den Angehörigen der
Bundeswehr die ernst- und dauerhafte Bereitschaft gefordert,
sich entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung jederzeit
durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokra-
tischen Grundordnung zu bekennen und sich für deren Erhalt
einzusetzen.«


Mit den Materialien von antidemokratisch arbeitenden
Geheimdiensten gegen antidemokratische Tendenzen vorzu-
gehen, ist mehr als fraglich. Persönliche Berichte von Teilneh-
mern legen nahe, dass die Kurse zur ›Demokratie-Schulung‹
in der Bundeswehr eher wenig nachhaltig sind, viele konnten
sich nicht einmal daran erinnern an solchen teilgenommen
zu haben.

Mit freundlicher Unterstützung & Genehmigung durch den Unrast-Verlag. Der hier vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch Braunzone Bundswehr.