Was für ein Jahr! Wo wir hinsehen, ein Einzelfall, überall Einzeltäter, manchmal auch mehrere Einzelfälle auf einmal, aber immer nur ein Einzelzufall. So seht ihr das, ihr sogenannten Sicherheitsbehörden. Wir, die Kampagne „Kein Einzelfall“, sehen das naturgemäß ganz anders. Die übermäßige Gewalt, die tödlichen Einsätze, die Repression, die Schikane, die Lügen, die Maskulinisierung und der Faschismus, für den ihr nicht nur blind seid, sondern an dem ihr beteiligt seid – das sind keine problematischen Einzelfälle in der Polizei und Co., nein, das ist ein Grundsatzproblem, dessen Motor ihr seid.
Der Höchststand ist erreicht: Aktuell sind 674 Neonazis einfach so untergetaucht. Wenn ihr so weiter macht, nämlich gar nix macht, sehen wir uns nächstes Jahr hier wieder, wenn wir verkünden, dass die 1.000er-Marke geknackt wurde. Kein Freund, kein Helfer weit und breit, nur eine Problempolizei, der wir heute, an ihrem Lieblingstag, dem 13.12., deutlich zeigen, was wir von ihr halten.
Was aber war alles dieses Jahr, das uns dazu bringt als antifaschistisches, antirassistisches und polizeikritisches Bündnis, heute hier auf die Straße zu gehen? Mitte April wurde mit den Stimmen der noch schwarz-grünen Regierungskoalition das hessische Versammlungsgesetz verabschiedet. Es heißt zynischerweise „Versammlungsfreiheitsgesetz“, besteht aber aus 50 Seiten Repression für alle, die sich in Hessen versammeln wollen, darunter Demonstrierende, Streikende und Fußballfeiernde. Das übrigens eindeutig verfassungswidrige Gesetz, gegen das bereits geklagt wird, stellt aufgrund der krassen Kriminalisierung von Versammlungsteilnehmenden eine reale Gefahr dar, sich strafbar zu machen, was wiederum das Potenzial um ein vielfaches erhöht, dass manche sich in Zukunft noch weniger an demokratischen Meinungsbildungsprozessen beteiligen werden. Bevor wir also den Blick auf repressive Umstände im Ausland richten und darüber empören – damit aber nebenbei mal wieder deutsche Zustände zu relativieren suchen – lasst uns den Fokus behalten, auf das, was uns alle hier und jetzt schon betrifft.
Gesagt werden muss, dass Repression und Gewalt bis hin zu tödlichen Einsätzen durch die Polizei häufiger Personen erfahren, die sich in psychischen Ausnahmesituationen befinden und von Diskriminierungen betroffen sind. Als Kampagne haben wir versucht den diesen gleichzeitig gesellschaftlich Marginalisierten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Deshalb haben wir auch dieses Jahr wieder vielen durch Polizist*innen getöteten Menschen in ganz Deutschland gedacht, darunter die beiden Geflüchteten Mouhamed Laminé Drame, erst 16 Jahre alt, aus Dortmund und Amin F., der letztes Jahr hier im Frankfurter Bahnhofsviertel gleich um die Ecke vom SEK-Süd in einem Hotel erschossen wurde. Am 02.08. haben wir deshalb zum 1. Jahrestag eine Kundgebung veranstaltet, bei der wir darauf aufmerksam machten, dass uns einiges an den polizeilichen Darstellungen dieser Erschießung skeptisch macht. Fotos vom Tatort zeigen große Blutlachen im Zimmer und auch im angrenzenden Badezimmer. Auch dort wurde offenbar ein Schuss abgegeben. Während sich Amin in der offiziellen Version mit einem Messer, mit dem er sich gegen einen beißenden Polizeihund zur Wehr setzte, in Richtung SEK bewegt haben und dann erst der tödliche Waffeneinsatz erfolgt sein soll, zeigen die Spuren im Bad jedoch, dass völlig unklar ist, ob von Amin zu diesem Zeitpunkt noch eine Bedrohung ausging oder ob er schon schwerstverletzt um sein Leben rang und dann mit einem Kopfschuss hingerichtet wurde. Die Ermittlungen zum Einsatz dauern zwar immer noch an, doch unser Tipp für den Ausgang dieser und anderer Geschichten ist erfahrungsgemäß immer derselbe, nämlich: Einstellung des Verfahrens.
Warum wir uns leider so sicher damit sind? Dieses Jahr veröffentlichte das Frankfurter Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“, kurz KviAPol, Ergebnisse, nachdem sie erstmals umfassende empirische Daten zu deutscher Polizeigewalt erhoben und nach wissenschaftlichen Standards auswerteten. Ein Ergebnis: Zu einer Anklage bei einem Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt kommt es nur in sage uns schreibe 2 % der Fälle. Und selbst dann wissen wir schon, wie die Sache ausgeht, denn wir wissen, wessen Freund und Helfer die Polizei ist: ihr eigener!
Aber wir haben als Kampagne nicht nur am 1. Jahrestag an den SEK-Mord an Amin F. in Frankfurt erinnert. Auch am 3. Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags am 19. Februar in Hanau erinnerten wir an das Komplettversagen der Polizei und anderer Unsicherheitsbehörden. Betroffene und Angehörige kämpfen nämlich seitdem für Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Hierfür engagierten sie u.a. Forensic Architecture und FORENSIS, die nach aufwendiger Arbeit zum Beispiel beweisen konnten, dass die beiden in der Arena Bar Ermordeten, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović, den Notausgang rechtzeitig hätten erreichen können und überlebt hätten, wären die Türen nicht verriegelt gewesen. Dass dies der Fall war, führen Hinterbliebene darauf zurück, dass die Polizei in der Vergangenheit den Betreiber der Bar unter Druck gesetzt hätte, die Tür verschlossen zu halten. So sollte verhindert werden, dass bei ihren rassistischen Razzien niemand durch den Notausgang entkommen könne. Was denkt ihr, fällt dem CDU-Obmann des Hanau-Untersuchungsausschusses, dazu nur ein? „Scharlatanerie“ und „völlig ohne Wert“ sei die von den Betroffenen selbst in Auftrag gegebene Recherche, ein Schlag ins Gesicht aller Angehörigen und ein Grund mehr zu sagen: Auf den Staat ist kein Verlass! Bis zuletzt zieht der hessische Innenminister Peter Beuth als Verantwortlicher keinerlei politische Konsequenzen oder bittet wenigstens um Entschuldigung bei den Betroffenen. Ihm bleibt sozusagen trotz all der Schweinereien in den letzten Jahren das Grunzen im Halse stecken. Peter, du gehst nun zwar endlich in den Ruhestand, aber was bleibt ist dein Sauhaufen.
Durch das politisch instrumentalisierte Narrativ des Einzelfalls wird, das wollen wir als Kampagne deutlich machen, rassistische, sexistische und antisemitische Menschenverachtung immer relativiert und am Ende das Gegenteil von dem bewirkt, was behauptet wird, nämlich innere Sicherheit. Denn die gibt es nicht, zumindest nicht für die von dieser Menschenverachtung betroffenen Menschen und auch nicht für diejenigen, die dagegen kämpfen und diesem Kampf eine Stimme geben, so wie Jule Liebig das zum Beispiel tut. Sie ist Pressesprecherin und Genossin hier in Frankfurt und weil sie das ist und öffentlich für emanzipatorische Inhalte und Projekte auftritt, wurde sie und ihr Umfeld in diesem Sommer wochenlang von der Frankfurter Polizei schikaniert. Die 18-Jährige wurde von der Polizei durch tägliche Personenkontrollen, 24h-Überwachung sowie Aushorchen der Nachbarschaft drangsaliert. Als Linke waren und sind wir solidarisch mit Jule und wir lassen uns weder davon einschüchtern noch in unserer Arbeit für das gute Leben für alle abhalten.
Und noch was bringt uns heute speziell auf die Frankfurter Straßen. Vor Kurzem entschied das Landgericht Frankfurt, dass es die Anklage wegen der rassistischen und antisemitischen Chatgruppe „Itiotentreff“ unter Polizist*innen vom 1. Revier an der Frankfurter Konstablerwache, zu der wir gleich gemeinsam laufen, nicht zulassen will. Die fatale Wirkung des Urteils zu den extrem rechten Chats in der Polizei Frankfurt sind bereits jetzt spürbar, denn so berichtet die Bildungsstätte Anne Frank aus ihrer Bildungsarbeit nach diesem Beschluss: „Viele Polizist*innen hatten den Eindruck gewonnen, dass solche Aussagen in Ordnung sind.“ In Ordnung also sind Hitler-Bilder, Hakenkreuze und offene Menschenverachtung, Verächtlichmachung von Jüdinnen*Juden und Muslim*innen, von Homosexuellen und vergewaltigten Frauen, von Menschen mit Einschränkungen oder mit Fluchtgeschichte. Nichts ist in Ordnung, sagen wir als polizeikritisches Bündnis und deshalb stehen wir heute hier alle gemeinsam auf der Straße und fordern: 1. Polizeirevier in Frankfurt dichtmachen!
Dieses Polizieren muss beendet werden anstatt umgekehrt wie hier im Bahnhofsviertel durch eine Waffenverbotszone grundlose Kontrollen zu erlauben und damit racial profiling legitimieren zu wollen. Was das mit betroffenen Menschen machen kann, erfuhren wir diesen Sommer z. B. von Bahar Aslan, damals noch Lehrbeauftragte an der Hochschule für Polizei. Als sie öffentlich machte, dass sie bei Polizeikontrollen selbst panische Angst bekommt, weil der ganze „braune Dreck“ innerhalb der Sicherheitsbehörden mittlerweile zum Himmel stinkt, wird sie kurzerhand gekündigt. Das ist der institutionelle Rassismus, der nicht eine einzige kritische Lehrbeauftragte auszuhalten scheint. Konsequenterweise sagen wir: Der Laden ist nicht reformierbar, also: Defund and Abolish the Police!
Wenn die Polizei jetzt sagt, nur ein Spiegel der Gesellschaft zu sein, dann ist vor dem Hintergrund von über 18 % für die faschistische AfD bei den diesjährigen Landtagswahlen in Hessen klar, dass ungefähr jeder fünfte Cop hier gerade ein Faschist ist und das in ungefähr jeder dritten Polizeistreife ein Faschist sitzt. Und das mit dem Spiegel der Gesellschaft ist nur eure Logik. Wir dagegen sehen keine schwarzen Schafe, keine Einzeltäter, keine Einzelfälle, sondern die Polizei als Institution als Problem in Gänze an, das es zu überwinden gilt. Es gibt immer noch keine unabhängige Beschwerdestelle für Betroffene von Polizeigewalt in Hessen und keine Möglichkeit für Whistleblower, damit sie die zahllosen Missstände ihrer Kamerad*innen endlich anonym verraten können. Solange sich also gar nichts ändert, bleiben wir kompromisslos und bleiben wir grundsätzlich: Polizei abschaffen heißt Leben retten.
Gegen jeden Faschismus – mit und ohne Uniform!