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Redebeitrag zur Vorabenddemo “3 Jahre Hanau – Gedenken heißt kämpfen”

Am 19. Februar 2020 ermordete ein Rechtsterrorist in Hanau Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.


Überlebende und Angehörige des Anschlags berichten auch heute noch, 3 Jahre danach, dass die Polizei die Situation damals verschlimmerte, anstatt zu helfen. Uns von der Kampagne “Kein Einzelfall” überrascht es in diesem Zusammenhang nicht, dass am 19. Februar insgesamt 13 Mitglieder des Sondereinsatzkommandos Frankfurt im Einsatz waren, also genau die SEK-Einheit, die nur eineinhalb Jahre später wegen extrem rechter Chats vom hessischen Innenministerium aufgelöst wurde.


Auch die Tatsache, dass Vili Viorel Păun am Abend des 19. Februar in seinem Auto dem Täter hinterherfuhr und dabei mehrere Male den Notruf, die 110, wählte, doch niemanden erreichte, verweist auf Polizeiversagen erster Güte. Vili hatte fünfmal versucht die Polizei anzurufen, wobei er sich im Eifer zweimal verwählte. Es half nicht, niemand half, weit und breit kein Freund und Helfer. Und so wurde auch Vili Viorel Păun ermordet.


Nachdem vier Polizeibeamt*innen zum Tatort fuhren, war der Notruf mit nur mit einer Person klar unterbesetzt. Während also ein extrem rechter Terrorist durch Hanau fährt und ungehindert migrantisierte Menschen erschießt, klingelt auf der Wache das Telefon einfach nur immer weiter. Niemand hebt ab. Vilis Leben sowie weitere Leben hätten möglicherweise noch gerettet werden können. Doch stattdessen ging das Morden weiter.


Nach dem Anschlag am 19. Februar 2020 gab es weder eine kritische Aufarbeitung zum Notrufversagen innerhalb der zuständigen Behörden noch zu den beteiligten Beamt*innen. Im Gegenteil gab man mal wieder alles dafür, um die Nichtskönner*innen in den eigenen Reihen in ein besseres Licht zu rücken: So wurde im Untersuchungsausschuss bekannt, dass das Landespolizeipräsidium versucht hatte, auf das polizeiinterne Ermittlungsverfahren zum Notrufversagen Einfluss zu nehmen. Und Innenminister Peter Beuth setzt noch eins drauf: Anstatt sich seiner politischen Verantwortung vor dem hessischen Landtag zu stellen, spricht er im Mai 2020 von hervorragender Polizeiarbeit. Zudem täuschte Beuth die Öffentlichkeit vorsätzlich, als er im Februar 2021 eine höhere polizeiliche Besetzung im Notruf am Abend vom 19. Februar behauptete als faktisch gegeben.


Wie kann es sein, dass nicht stattdessen auf das Komplettversagen der Polizei angemessene Konsequenzen folgen? 3 Jahre später gibt es nicht einmal eine Bitte um Entschuldigung vonseiten der Verantwortlichen. Anstatt die Polizei für ihre unterlassene Hilfe zur Rechenschaft zu ziehen, werden ihre Fehler von ihnen selbst und vom hessischen Innenministerium vertuscht und ihre Tatlosigkeit verharmlost. Nur dank der Recherchen der betroffenen Familien, durch Journalist*innen, Anwält*innen und Unterstützer*innen aus antirassistischen und antifaschistischen Initiativen und Gruppen sowie durch die Befragungen im Untersuchungsausschuss konnte das Ausmaß an Behördenversagen bei gleichzeitigen Vertuschungsversuchen Stück für Stück nachgewiesen werden.


Hier ein Beispiel: Forensic Architecture und FORENSIS konnten aufklären, dass die beiden in der Arena Bar Ermordeten, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović, den Notausgang rechtzeitig hätten erreichen und entsprechend fliehen können, wären die Türen nicht verriegelt gewesen. Dass dies der Fall war, führen Hinterbliebene darauf zurück, dass die Polizei in der Vergangenheit den Betreiber der Bar unter Druck gesetzt hätte, die Tür verschlossen zu halten. So sollte verhindert werden, dass bei ihren rassistischen Razzien niemand durch den Notausgang entkommen könne.


Ein weiteres Beispiel: Das Haus des Attentäters, in das er nach seinen rassistischen Taten geflohen war, umstellte die Polizei nicht ordnungsgemäß. So war das Grundstück des extrem rechten Terroristen nach dessen Tat über einen längeren Zeitraum nicht oder nur mangelhaft überwacht worden – nicht etwa, weil der Schütze an einem anderen Ort vermutet wurde, nein: Es war längst klar, dass der Mörder sich in seinem Haus aufhielt. Insgesamt hatte er mehr als eine Stunde lang Zeit gehabt, aus seinem Haus zu spazieren und sich weitere Opfer zu suchen.


Auch auf die Vogelperspektive konnte sich in Hanau an diesem Abend niemand verlassen. Der angeforderte Hubschrauber kreiste über dem Stadtteil Kesselstadt, jedoch ohne gezielt das Haus des Attentäters zu erfassen – obwohl die Piloten mehrfach nach Koordinaten fragten. Woran lag das, fragen wir uns? Und: War das ein Einzelfall? Jedenfalls erfuhren die beiden Piloten bis zuletzt nicht die längst bekannte Adresse des Attentäters und flogen weiter planlos durch die Nacht.


Wir fassen zusammen: Mehrere Polizeieinheiten und ein Heli schafften es nicht am Abend des 19. Februar das Haus beziehungsweise dessen Fluchtwege zu sichern. Wie kann es sein, dass ein hochausgebildetes Sondereinsatzkommando und sogenannte Sicherheitskräfte sich so unkoordiniert verhalten? Wie kann es sein, dass stundenlang gewartet wird, bis endlich ein Eingriff stattfindet und das Haus betreten wurde? Was spielte sich dort so lange ab, wo am Ende einerseits nur noch der tote Rassist und seine von ihm getötete Mutter aufgefunden wurden – und andererseits lebend und unversehrt sein rassistischer und vorbestrafter Vater Hans-Gerd?


Dass das zuständige SEK deutlich früher hätte eingreifen müssen, ist durch Gutachten bestens belegt. Bewiesen ist nämlich unter anderem, dass die Schüsse, mit denen der Attentäter seine Mutter tötete, von den Beamt*innen mit Sicherheit gehört wurden. Aber natürlich sind Beamt*innen, die nicht ans Telefon gehen können, nicht ordentlich Infos weitergeben können, kein Haus umstellen können, sich aber in extrem rechten Chats austauschen können, rassistisch gegen sogenannte Shishabars vorgehen können, nicht in der Lage, Schüsse zu hören. Auf dem rechten Auge blind und auf beiden Ohren taub sind sie, unsere Unsicherheitsbehörden!


Fazit des Ganzen: Erst scheiße gebaut, dann Lügen zu Protokoll gegeben. Das, was in Hanau am 19. Februar 2020 passierte, ist ein besonders tödlicher Fall von Rassismus in strukturell rassistischen Verhältnissen – und eben kein Einzelfall. Darum seid aufmerksam, recherchiert und vertraut nicht darauf, was zuständige Amtsträger*innen und sogenannte Sicherheitsbehörden erzählen, um ihren Rassismus ebenso wie ihr eigenes Versagen zu verleugnen.


Solidarität mit den Betroffenen extrem rechter Gewalt!
Wir vergessen nicht!
Morgen alle nach Hanau!