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In Frankreich wie in Deutschland: Das Problem in Uniform ist ein grundsätzliches!

 
Redebeitrag bei der Demonstration
»DIE POLIZEI TÖTET – Gerechtigkeit für Nahel und alle anderen Opfer rassistischer Polizeigewalt«
in Frankfurt/Main am 14.07.2023

Liebe Freund*innen und Genoss*innen,

unsere Initiative »Ein Einzelfall kommt selten allein« weist seit Jahren auf die strukturelle Dimension rechter Gewalt in den sogenannten Sicherheitsbehörden hin. Vieles davon teilen wir regelmäßig bei Twitter oder auf unserem Blog. Immer öfter ist dabei eins festzustellen: Extrem Rechte sind nicht nur sehr gerne uniformiert, sondern begehen auch währenddessen ihre Taten. Wir fragen uns dabei jedes Mal, ob der hessische  Innenminister Beuth, der – wie beim rassistischen Anschlag in Hanau – andauernd für seine Polizei-Schützlinge in die Bresche springt, das auch für die Polizei in Frankreich tun würde und ihre Arbeit, Zitat, “exzellent”, findet.

In Frankreich ist es das Gleiche wie in Deutschland: Das Problem mit den Täter*innen in Uniform ist ein grundsätzliches. Die Analysen hierzu bleiben aber zu oberflächlich, solange sie nur das Einzelfallnarrativ bemühen – und genau das tut die vermeintliche Mitte der bürgerlichen Gesellschaft, während sich ihre faschistischen Flügel weiter ins blutverschmierte Fäustschen lachen. Das Gerede vom Einzelfall ist und bleibt falsch und eine Verharmlosung, weil damit indirekt ein Zweifel geäußert wird, ob z. B. anstelle vom ermordeten Nahel vielleicht doch dem mordenenden Polizisten Unrecht getan wurde. Warum kommt es zu einem solch angeblich krassen Einzelfall, also zur dieser vermeintlichen Ausnahme, wo doch scheinbar alles in der Regel so gut läuft? Diese Täter-Opfer-Umkehr, die dann erstmal stattfindet, gipfelte in diesem sogenannten Einzelfall darin, das ein von Faschos angestoßenes Crowdfunding über eine Millionen Euro für den Mörder von Nahel eingespielt hat. Linke empört das und empört zu sein ist wichtig. Es muss uns aber mehr als empören, wenn französische Polizeigewerkschaften wenige Tage nach dem Mord offen damit drohen, auf eigene Faust Jagd auf sogenannte Aufständische zu machen, wenn sie nicht endlich die offizielle Erlaubnis bekommen, mit voller Härte losschlagen zu dürfen. Eine Gewerkschaft, die das androht, ist kein Einzelfall, sondern eine aus unzähligen Mitgliedern bestehende Institution, die, wie wir aus anderen Kontexten wissen, genug Macht haben kann, um ihre Drohung in die Tat umzusetzen. Nur weil das viele nicht hören wollen, dürfen wir nicht darüber schweigen.

Und sicher, hier und da steht das eine oder andere Menschenrecht im Gesetz, aber ist darauf Verlass, wenn es im Alltag offensichtlich nicht jederzeit und für alle gleichermaßen gilt? Letzten Monat erst hat die griechische Küstenwache hunderte Menschen im Mittelmeer ertränkt. Wir fragen: Führte die Küstenwache nur das aus, worauf sich “Keine-Polizeigewalt-aber-Brechmittel-ist-okay-Olaf-Scholz” und die offene Faschistin Meloni aus Italien kurz zuvor einigten? Bedeutet das Credo “sichere EU-Außengrenzen” jetzt für geflüchtete Menschen übersetzt “sicherer Tod”? Die Menschenrechte stehen wohl nur im Weg, oder wie die hessische SPD-Spitzenkandidatin Faeser anlässlich der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl neulich sagte: “Erstmal bin ich sehr froh, dass diese historische Entscheidung heute gelungen ist”. Wichtig ist also, dass durchentschieden werden kann ohne irgendwelche nervigen Bedenken zuzulassen. Der Inhalt der Entscheidung ist auch oft egal, hauptsache es wurde überhaupt etwas entschieden und es gibt am Ende ein Ergebnis, das verkündet werden kann. Eigentlich ist nur wichtig, dass alles möglichst ungestört funktioniert. Die Gesellschaft als gut geölte Maschine – und der Bulle, egal ob es der vermeintlich nette Wachtmeister von nebenan oder der Frontex-Cop ist, erhält mehr und mehr Befugnisse, mit der er die Ordnung gewaltvoll erhalten soll. Gerade deshalb identifiziert sich die bürgerliche Gesellschaft mit ihm, dem Freund und Helfer, denn er ist ja der angebliche Beschützer des eigenen bürgerlichen Daseins.

Dieser Hintergrund erklärt die Reaktion der französischen Regierung auf den Mord an Nahel: Nach dem Mord am 27. Juni gab es am Folgetag eine Schweigeminute und die rhetorische Verurteilung der Tat. Schon am gleichen Tag erließ das Pariser Polizeipräsidium allerdings auch die Sondergenehmigung zum Einsatz von Drohnen zur Überwachung des öffentlichen Raums, eine Möglichkeit, die der Staat sich erst Anfang des Jahres als Maßnahme gegen die Proteste anlässlich der Rentenkürzungen selbst gegeben hat. Am nächsten Tag setzte der französische Innenminister ganze 40.000 zusätzliche Polizist*innen ein. Noch einen Tag später gibt Macron den Videospielen die Schuld an der Wut der Jugendlichen und sein Innenminister fordert die Verkehrsbetriebe auf, Busse und Bahnen nachts nicht mehr fahren zu lassen und Großveranstaltungen abzusagen. Gleichzeitig wird – zum ersten Mal überhaupt – ein neuer Räumpanzer auf der Straße eingesetzt, eigentlich militärisches Gerät mit Granatwerfer und Maschinengewehr. Am 1.7., der fünften Nacht, wird eine offizielle Ausgangssperre ausgerufen, am folgenden Tag gibt es aus Lyon die ersten Videos von organisierten Fascho-Mobs, die die Polizei bei ihrer Jagd unterstützen. Am 4.7. schließlich denkt Macron laut über die Möglichkeit nach, Social Media Plattformen abzuschalten, um die Koordination der Protestierenden zu erschweren. Wieder ein Tag später legalisiert der französische Staat den Einsatz von Staatstrojanern. Insgesamt dauerte es also kaum mehr als eine Woche vom geheuchelten Verständnis für die Proteste bis zu Ausgangssperren, Internetzensur und Militärwaffen auf der Straße.

Die Proteste gegen die Gewalt des Staates sind für den Staat gerade ein willkommener Anlass, um sein Gewaltpotenzial massiv auszubauen. Bei einem dafür verantwortlichen Präsidenten wie Macron, der übrigens der dritt-unbeliebteste Präsident jemals in Folge ist, ist diese Entwicklung nicht verwunderlich. Wie schon Sarkozy und Hollande vor ihm ist Macrons Präsidentschaft geprägt von einem unerträglichen Klassenkampf von oben, der zudem mit enormer Polizeigewalt gegen umfangreiche Sozialproteste durchgeprügelt wird. Für den sich verschärfenden Klassenkampf rüstet sich der bürgerliche Staat also mithilfe illiberaler Gewalt. Bei manchen mag er sich damit unbeliebt machen. Aber was sollten Macron oder Faeser sagen, wenn die Melonis, Höckes und LePens dieselben Mittel benutzen? “Faschismus okay, aber nur, wenn ihr damit die Kapitalrendite rettet?” Genau hier liegt der Knackpunkt einer bürgerlichen Politik, die mehr und mehr auf Gewalt und Gehorsam setzt: die sogenannte Mitte schafft Verhältnisse, die das Potenzial haben, es schweigend zuzulassen, wenn sich von jeglicher Zustimmung durch die Bevölkerung verabschiedet wird.

Doch genau bei diesem Schweigen verläuft die Grenze zwischen denen und uns. Wer schweigt stimmt zu. Deshalb sind wir hier, deshalb sind wir laut. Solidarität mit allen, die das totalitäre Potenzial dieser Politik bekämpfen. Und Solidarität mit allen, die gegen Polizeigewalt auf die Straße gehen.

Wir werden es wieder tun und möchten deshalb zum Schluss darauf aufmerksam machen, dass es am 02. August eine Kundgebung hier in Frankfurt geben wird, denn unweit von hier im Bahnhofsviertel wurde vor fast einem Jahr ein 23-jähriger wohnungsloser schwarzer Mensch von der Polizei ermordet, per Kopfschuss. Am 2.8. jährt sich dieser Mord zum 1. Mal und wir treffen uns am Willy-Brandt-Platz ab 18:30 Uhr vor dem Euro-Zeichen und freuen uns auf euch und euren Support!

Auch in Deutschland tötet die Polizei und auch hier sagen wir: Das war kein Einzelfall! Vielen Dank!