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Redebeitrag auf der Gedenkkundgebung zum Jahrestag von Utøya und München

10 Jahre Utøya. 5 Jahre München. – Rechter Terror tötet!

Gedenkkundgebung vom OAT Frankfurt am 22.07.2021

Liebe Genoss:innen,
Wir sind heute hier, um den 77 Opfern des Doppelanschlags in Oslo und auf der Insel Utøya, den …Opfern den Anschlages von München und den zahlreichen weiteren Opfern rechten Terrors zu gedenken. Außerdem wollen wir auch daran erinnern, dass heute vor zwei Jahren im hessischen Wächtersbach ein rassistisch motivierter Mordversuch auf den heute 28-järigen Bilal M. verübt wurde. Der Familienvater überlebte nur dank einer Not-Operation schwer verletzt.

Der Täter des Doppelanschlags in Oslo und Utøya hat maßgeblich zur Herausbildung eines neuen Tätertypus beigetragen. Er sorgte online eigenständig auf verschiedenen Plattformen, u.a. sogenannnten Imageboards, für die Verbreitung seiner Ideologie und erhält in (rechten) online communities Zuspruch und Bestätigung für sein menschenverachtendes Weltbild. Er hat zahlreiche Nachahmer inspiriert, darunter den Täter, der am 5. Jahrestag von Oslo/Utøya in München ebenfalls zur Waffe griff und gezielt neun migrantisch gelesene Menschen erschoss.

Der Täter von Oslo/Utøya formulierte erstmals die Idee, terroristische Anschläge per Internet-Livestream in die Öffentlichkeit zu übertragen, welche dann im Jahr 2019 im neuseeländischen Christchurch in die Tat umgesetzt wurde. Auch bei den Anschlägen in Halle, in Berum in Norwegen und in Poway in den USA streamten die Täter ihre Tat nach der Idee des Täters von Oslo/Utøya oder versuchten dies. 

All diese Täter handelten während der Tat alleine und passen dadurch in das allgemein bekannte Narrativ des sogenannten Einzeltäters. Was jedoch oft nicht erkannt wird, ist die Taktik hinter diesen Taten. Die Strategie des sogenannten “einsamen Wolfes” (“lone wolf”) wurde erstmals durch amerikanische Vorbilder wie The Order verbreitet. Sie propagieren den Aufbau unabhängiger konspirativer Zellen für den sogenannten “führerlosen Widerstand” (“leaderless resistance”), die in vielen kleinen “einzeln” agierenden Zellen aufgebaut und etabliert werden. Der Idee nach können so Rechtsterroristen losgelöst von Organisationen flexibel, autonom und unentdeckt handeln. Sie alle verfolgen dabei aber immernoch ein gemeinsames Ziel.

Von Seite der ermittelnden Behörden wird trotz dessen immer und immer wieder die These der “Einzeltäter” propagiert. Terroristen werden als verwirrte oder psychisch kranke Einzelfälle deklariert und damit von einem politischen, geschweige denn gar einem rechten Motiv  oftmals schon wenigen Stunden nach den Anschlägen freigesprochen. 

In den letzten Jahren zeigte sich nach Anschlägen wie denen in Utøya, München, Halle, Wächtersbach und Hanau  immer wieder, dass die sogenannten Sicherheitsbehörden die Gefahren rechten Terrors konsequent herunterspielen. Egal ob im NSU-Komplex, rechten Chatgruppen, dem selbsternannten NSU 2.0 und extrem rechten Strukturen innerhalb des Polizeiapparats und SEKs. 

Fälle wie der von Franco Albrecht oder die jüngsten Erkenntnisse zum Anschlag von Hanau, nach deren mehrere der inzwischen suspendierten SEK-Mitglieder in der Tatnacht im Dienst waren zeigen erneut: Extrem rechte bzw rechtsterroristische Umtriebe und neonazistische Aktivitäten werden nicht frühzeitig entdeckt und enttarnt. Die Häufigkeit mit der in den letzen Jahren immer wieder Netzwerke und/oder Chatgruppen innerhalb der Behörden auftauchen zeigt, dass es sich hier allerdings um eine Regel als um Ausnahmen handelt.

Die Aufklärung des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau, bei dem zehn Menschen ermordert wurden zeigt auf, wie wenig Aufklärungswille von Seiten der Politik und des Staates es in Bezug auf rassistische Taten im Allgemeinen und politisches Versagen im besonderen gibt. Die Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit liegt ganz bei den Überlebenden und Angehörigen des Anschlags, die als Initiative 19. Februar in Hanau und darüber hinaus für ihre Anliegen kämpfen müssen.

Daraus ergibt sich für uns die Notwendigkeit des konseuqenten und kontinuerlichen antifaschistischen Kampfes gegen Neonazis, ihre Ideologie und die reaktionär-autoritären Akteur:innen, welche die von Neonazis ausgehende Gefahr leugnen und verharmlosen wollen. Nazis gehören nicht in Schützenvereine, sondern entwaffnet!

Unsere Gedanken sind heute bei den 69 ermordeten Personen auf Utøya und den acht getöteten Menschen des Bombenanschlags im Osloer Regierungsviertels und ihren Angehörigen. Unter den Überlebenden von Utøya gibt es eine Abmachung: Wer kann, dreht die Zeitungen am Kiosk um, damit die Anderen das Gesicht des Täters nicht sehen müssen. Unsere Gedanken sind auch bei den über 450 Überlebenden der Attentate.Wir möchten unseren Redebeitrag daher mit einem Zitat von Sofie, einer von ihnen,  beenden. In einer SMS schreibt sie an ihre Freundin Lejla, die am 22.07.2011 im Ferienlager der sozialdemokratischen Jugend ermordet wurde:

»Ich mache es so, wie ich es dir versprochen habe. Ich lebe und genieße das Leben, so gut ich kann. Es ist hart, das ohne dich zu tun, aber ich hoffe, du siehst auf mich herunter und bist stolz auf mich.« 

http://larafritzsche.de/das-leben-nach-dem-tod-in-utoya/
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Der Komplex Franco A. Teil 2 – Das Netzwerk

Von NSU-Watch Hessen

Im aktuell laufenden Gerichtsprozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ist Franco Albrecht alleine angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, Waffen, Kriegswaffen und Sprengstoff gestohlen und illegal besessen zu haben, sich als Geflüchteter ausgegeben und dabei den Staat um Geld betrogen zu haben. Doch vor allem wird ihm vorgeworfen, einen terroristischen Anschlag, etwa die Ermordung von Politiker*innen und Aktivist*innen, vorbereitet zu haben.

Doch ob er alle Punkte, die ihm als Anschlagsvorbereitung vorgeworfen werden, wirklich alleine ausgeführt hat, wie es in der Anklage heißt, ist fraglich. In Albrechts Umfeld finden sich extrem Rechte, Soldaten, Waffenhändler und AfD-Politiker, mit denen er eine gemeinsame Gesinnung zu teilen scheint und die ihn teilweise zum Beispiel bei der Verwahrung von illegalen Waffen unterstützten. Gleich mehrere von ihnen kommen aus dem Rhein-Main-Gebiet. Während der Staat in politischen Verfahren gegen linke Aktivist*innen oft und gerne davon Gebrauch macht, mitunter lose Gruppen und Bekanntschaften zu kriminellen oder terroristischen Vereinigungen nach §129 StGB zu erklären, sieht sie Albrecht als Einzeltäter. Zeitweise wurde zwar gegen mehrere Personen als mögliche Mittäter ermittelt, zwei saßen zeitweise auch in Untersuchungshaft. Doch die Bundesanwaltschaft hat alle Ermittlungen gegen sie eingestellt bzw. beendet. Dabei gibt es weiterhin offene Fragen, die Grund zur Annahme geben, dass Albrecht nicht als Einziger von seinen Plänen wusste und er die ihm vorgeworfenen Taten mutmaßlich nur vorbereiten konnte, weil er auf Unterstützer vertrauen konnte.

Die Jugendfreunde Mathias Fl. und Christoph Ka.

Zu nennen wäre beispielsweise Albrechts Freund Mathias Fl. Die beiden kennen sich noch aus Jugendzeiten, ruderten in Offenbacher Rudervereinen, Albrecht bei 1874 e.V., Mathias Fl. bei Hellas Offenbach e.V. Mathias Fl. ist im Gegensatz zu den meisten Personen in Albrechts Umfeld kein Soldat, sondern er studierte an der TU Mittelhessen in Friedberg. In Chatprotokollen, die in den Prozesses gegen Albrecht und Flöhr zitiert wurden, äußerte Fl. Wimmer wieder rassistische Gewaltfantasien und forderte beispielsweise, man solle „eine Atombombe“ in eine Gruppe Geflüchtete „reinwerfen“. Albrecht reagierte darauf mit dem Satz: „Ruhig Brauner, nicht auf Whats App“. Fl. verschickte zudem ein Video an Albrecht zu Verschwörungsideologien über Migration. Fl. Forderte zudem, alle die in Frankfurt Geflüchtete begrüßten, müsse man töten und äußerte, der Attentäter vom Breitscheidplatz hätte lieber in den Bundestag fahren sollen als auf den Weihnachtsmarkt. In den gleichen Chats tauschte er sich mit Albrecht über legale frei verkäufliche Waffen, wie Sportbögen, als Vorbereitung auf einen Kriegsfall aus. Der Bogen komme erst raus, wenn der Krieg ausbräche, so Mathias Fl. in den Chats.

Fl. wusste laut den Ermittler*innen auch von Albrechts Tarnidentität als Geflüchteter unter dem Alias David Benjamin. Albrecht sagte aus, er habe ihm davon bei einem gemeinsamen Kneipenbesuch in Offenbach erzählt. Nach Albrechts Anhörung unter dessen Alias beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im November 2016 gratulierte ihm Fl. in Chatnachrichten zu der gelungenen Täuschung.

Nachdem Franco Albrecht Anfang Februar 2017 bei dem Versuch, eine Pistole aus einem Versteck zu holen, am Wiener Flughafen festgenommen wurde, rechnete er womöglich bereits mit einer Hausdurchsuchung. Jedenfalls bemühte er sich daraufhin, die in seinem Elternhaus versteckten illegalen und mutmaßlich bei der Bundeswehr gestohlenen Waffen sowie NS-Literatur loswerden. Hierzu kontaktierte er laut der Aussage von BKA-Beamten vor Gericht Christoph Ka., einen weiteren Jugendfreund aus dem Ruderverein, der zu dem Zeitpunkt als Elektroingenieur bei der Deutschen Bahn tätig und somit für kritische Infrastruktur mitverantwortlich ist. Auch mit diesem tauschte sich Albrecht in Chats auf rassistische Weise aus. Die Chats geben zudem Anlass zur Vermutung, dass auch Christoph Ka. von Albrechts Doppelidentität wusste.

Albrecht versteckte die Gegenstände erst im Rudervereins-Spind von Christoph Ka.. Diesem wurde die Sache jedoch anscheinend zu heiß, er befürchtete wohl, dass die Gegenstände dort gefunden werden.

Daraufhin holte Mathias Fl. laut Aussagen im Prozess gegen ihn die Gegenstände im April ab und verwahrte sie in seinem Wohnheimszimmer in Friedberg. Darunter befanden sich Patronengürtel, über 1000 Schuss Munition für verschiedene Waffen (teils Übungsmunition, teils scharf) und über 50 verschiedene Granaten und Sprengzünder. In Fl.s Elternhaus wurde Albrechts Ausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ gefunden.

Wie Albrecht wurde Fl. Ende April 2017 festgenommen und seine Wohnheimzimmer sowie die Wohnung seiner Eltern durchsucht. Dabei wurden die genannten Gegenstände gefunden, sowie eine Machete und ein Sportbogen aus dem Besitz von Fl. Dieser saß daraufhin knapp drei Monate in Untersuchungshaft, bevor er Mitte Juli 2017 aus der Haft entlassen wurde. Angeklagt wurde er jedoch nicht gemeinsam mit Albrecht wegen der Vorbereitung eines terroristischen Anschlags, sondern hatte vor dem Landgericht Gießen im September 2019 lediglich einen Prozess wegen des illegalen Besitzes der Waffen. Der Prozess gegen Mathias Fl. endete nach zwei Verhandlungstagen mit einer Bewährungsstrafe von drei Jahren und einer Zahlung von 2.500€ an eine Initiative für Geflüchtete.

Maximilian Tischer – Vom Terrorverdächtigen zum AfD-Politiker

Ebenfalls zeitweise in Untersuchungshaft saß Maximilian Tischer. Die Familie Tischer stammt aus Sachsen-Anhalt. Als Maximilian Tischer noch ein Kind war, zogen sie nahe Seilgenstadt in den Kreis Offenbach. Der Vater ist heute einer der Köpfe des Vereins „Deutsch-Russisches Friedenswerk“ und gilt als aktiv in der sogenannten „Reichsbürgerszene“. Maximilian Tischer ist wie Albrecht Oberleutnant der Bundeswehr, nahm gemeinsam mit diesem an Offizierslehrgängen teil und war wie dieser bei der Deutsch-Französischen Brigade in Illkirch stationiert. Bei einer Schießübung, bei der auch Tischer teilnahm, soll laut LSA Rechtsaußen einmal eine Pistole verschwunden sein. In Untersuchungshaft kam Tischer, weil mehrere Aspekte auf eine Involvierung in Albrechts mögliche Terrorpläne hindeuteten: Tischer war mit Albrecht am Flughafen, als dieser nach dem „Ball der Offiziere“ in Wien die Pistole auf der Toilette versteckte. Mindestens einmal entschuldigte er laut Ermittler*innen Albrecht Anfang 2016 mit einer vermeintlichen Autopanne, als dieser aufgrund seiner Doppelidentität als Geflüchteter nicht rechtzeitig zu seinem Dienst bei der Bundeswehr erschien. Außerdem wurden in Tischers Wohnung in Straßburg Namenslisten gefunden, die als mögliche Feindeslisten im Prozess diskutiert werden. Darauf finden sich Namen und zum Teil Adressen von Politiker*innen wie Joachim Gauck, Heiko Maas und Anne Helm, aber auch Institutionen wie die Rote Hilfe und das Zentrum für politische Schönheit. Auf einem zweiten Blatt unter der Überschrift „FFM“ stehen ein Mitarbeiter von Pro Asyl und der Admin-Name einer seit mehreren Jahren inaktiven Antifa-Website aus Frankfurt. Kategorisiert sind diese Namen und Institutionen in den Gruppen A bis D.

Nach den Funden kam auch Tischer in Untersuchungshaft, jedoch nur für etwa zwei Monate. Danach wurde er wieder entlassen weil der Bundesgerichtshof der Meinung war, es lägen nicht ausreichend Gründe vor, ihn wegen Mittäterschaft oder Beihilfe anzuklagen. Tischers Karriere schadete die U-Haft nicht: Ende 2017 stellte er einen Antrag auf Freistellung bei der Bundeswehr, um als persönlicher Referent für den hessischen AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte zu arbeiten – während die Ermittlungen wegen einer möglichen Beteiligung an der Planung zur Ermordung von Politiker*innen gegen ihn formal noch liefen. Ein Hausausweis des Bundestags wurde ihm zuerst noch aufgrund der noch laufenden Ermittlungen versagt, später jedoch – als die Ermittlungen eingestellt wurden – ausgestellt. Auch innerparteilich machte Tischer Karriere: Ende 2019 wurde er als Schatzmeister in den Vorstand der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ in Sachsen-Anhalt gewählt. Im Landtag Sachsen-Anhalt sitzt er zudem als Mitarbeiter im Ausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik.

Bei seinem kurzen Auftritt im Prozess gegen Franco A. berief sich Tischer auf sein Aussageverweigerungsrecht und Erinnerungslücken. Dort gab an, seit längerem auch keinen Kontakt mehr zu Albrecht zu haben. Dies scheint ungewöhnlich, da Albrecht seit mehreren Jahren mit Tischers Schwester liiert ist und gemeinsam mit ihr wohnt. Sie studiert wie Albrecht an der Goethe Universität Frankfurt. Daneben betreibt sie scheinbar gemeinsam mit ihrem Bruder Maximilian seit mehreren Jahren ein Modeversandunternehmen. Zumindest posierten beide vor einigen Jahren gemeinsam auf Promobildern des Versandhändlers. In Homestorys gegenüber Medien wurde von Albrecht und seiner Partnerin auf deren Mitgliedschaft in der Linkspartei hingewiesen. Mitglied wurde sie dort erst im Februar 2017 – wenige Tage, nachdem Albrecht in Wien das erste Mal festgenommen wurde.

Maurice R. – Frankfurter Exsoldat in Wien

Ein weiterer aus dem Rhein-Main-Gebiet stammender Soldat in dem Komplex ist der 1992 in Frankfurt geborene und aufgewachsene Maurice R. Dieser ist Leutnant der Bundeswehr und studierte Psychologie an der Sigmund-Freud-Universität in Wien. Maurice R. lud Albrecht, seine Partnerin, Maximilian Tischer und einen weiteren Soldaten, der aber nicht mitkam, 2017 zum „Ball der Offiziere“ nach Wien ein. Bereits ein Jahr zuvor hatte Maurice R. an dem Ball teilgenommen und sich in einer Bundeswehrzeitung enthusiastisch über den Ball geäußert. In einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe tauschten sie Bilder vom Ballabend von sich aus. Doch am Tag seiner Abreise postete Albrecht auf einmal ein ganz anderes Foto: Ein Foto jener Flughafentoilette, wo er die Pistole versteckte, und dazu ein Video, wie sie im Terminal zu finden sei. Doch anstatt verwunderte Reaktionen zu erhalten, warum statt Bildern in schicken Klamotten auf einmal das Bild einer Toilette geteilt wird, reagierte niemand aus der Gruppe – außer Maurice R., der das Bild mit einem lachenden Smiley kommentierte. Dieser Chatverlauf wirft die Frage auf, ob Tischer und insbesondere Maurice R. nicht doch frühzeitig von der am Flughafen versteckten illegalen Pistole wussten.

Josef Georg Reif – Schießübungen mit AfD-Kandidat

Und noch ein Soldat aus Hessen hatte Verbindungen zu Albrecht: Der 1987 in Weilburg geborene Josef-Georg Reif ist in Schwarzenborn stationiert und kennt Albrecht ebenfalls von der Offiziersausbildung. Bei den Kommunalwahlen im März 2021 kandidierte er für die AfD für den Kreistag in Limburg-Weilburg. Er und seine Partei bekamen jedoch nicht ausreichend Stimmen sodass er nicht in das Parlament einzog.

Zeitweise wurde er von der Bundesanwaltschaft als Mitverdächtiger geführt. Mit Albrecht tauschte er sich über illegale Waffen in Albrechts Besitz und Munition hierfür aus. Albrecht schrieb Reif in Chats: „Die große und die kleine haben mächtig Hunger“. Reif bestätigte gegenüber der Polizei, dass es sich dabei um Codes für Munition für ein Sturmgewehr G3 und eine weitere Pistole handelte, die Albrecht illegal besaß. Im April 2016 nahmen beide an gemeinsamen Schießübungen damit im Westerwald teil.

Auch die Räume von Reif wurden durchsucht. Dabei wurden mehrere kleinere Sprengkörper bzw. Sprengsimulatoren gefunden, die Reif illegal besaß. Einen Strafbefehl über 120 Tagessätze lehnte er ab, weshalb er wegen des illegalen Besitzes nun angeklagt ist.

Uniter und Prepper-Chatgruppe „Süd“

Während der Ermittlungen gegen Franco Albrecht wurde einige Monate später durch Recherchen u.a. der taz ein breites rechtes Netzwerk inner- und außerhalb der Bundeswehr bekannt, das oft unter dem Namen „Hannibal Netzwerk“ auftaucht. In den vom Gründer des Vereins Uniter und KSK-Elitesoldaten Ande S. alias Hannibal administrierten Prepper-Chatgruppen tauschten sich mehrheitlich SoldatInnen, PolizistInnen und Mitglieder privater Sicherheitsdienste aus, wie sich am besten auf einen kommenden „Tag X“ vorzubereiten sei. Sie tauschten Nachrichten über „Safe-Houses“ und mit rechten Inhalten aus und organisierten gemeinsame Schießtrainings. Die Aufteilung der Chatgruppen lief dabei parallel zu der Aufteilung des Vereins Uniter: Nord-, Süd-, West-, und Ostdeutschland hatten je eine Gruppe für rechte „Prepper“ aus der Region, dazu noch je eine für Österreich und die Schweiz. Besonders bekannt ist die Gruppe „Nordkreuz“, deren Mitglieder Feindeslisten führten, Waffen und Leichensäcke horteten.

Während Maximilian Tischer Mitglied der Chatgruppe „Ost“ gewesen sein soll, war Albrecht Mitglied der Chatgruppe „Süd“. Ein anderer Soldat, den er auf einem Sportlehrgang kennen lernte, hätte ihn hier Ende 2015 / Anfang 2016 aufgenommen. Den Namen des Soldaten wollte Albrecht in Anwesenheit von Medien nicht nennen. In der Gruppe Süd tauschte er sich mit anderen über durch Migration verursachteBürgerkriegsszenarien, aus. Mindestens zweimal nahm Albrecht auch an persönlichen Treffen der Chatgruppe teil. Eines soll ein Schießtraining gewesen sein, das andere ein Treffen bei Andre S. zuhause. Auf den Treffen habe Albrecht andere Mitglieder der Preppergruppe nach der Möglichkeit der legalen Bewaffnung befragt. Ein Polizist habe ihm Sportbögen empfohlen, über die er sich dann mit Mathias Fl. austauschte.

Neben der Mitgliedschaft in der Chatgruppe soll Albrecht zwar nicht Mitglied im Verein Uniter gewesen sein. Jedoch sollen bei ihm Patches des Vereins gefunden worden sein, die auf eine Anbindung rückschließen.

Der bayrische Waffenhändler Rainer He.

Für die Chatgruppe „Süd“ warb Albrecht zudem eine weitere Person an: Im April 2016 besuchte er Rainer He., der gemeinsam mit einem Partner im bayrischen Vohenstrauß einen Waffenladen betreibt und viel über eine Onlinebörse für Waffen verkauft. Ihm kaufte Albrecht eine Montageschiene für ein Zielfernrohr ab, um es auf seinem illegalen G3 Gewehr zu befestigen. Das Gewehr wurde wie eine weitere Pistole bis heute nicht gefunden. Albrecht räumte zwar den Besitz ein, will jedoch nicht sagen, wo sich dieses aktuell befindet. Im darauf folgenden Juli traf er sich ein zweites Mal mit Rainer He. und schoss gemeinsam mit diesem als dessen Gast auf dem örtlichen Schießstand. Im Zuge ihrer Treffen warb Albrecht He. auch für die Chatgruppe „Süd“ an, der He. dann beitrat.

Auf seiner Facebook-Seite macht Rainer He. keinen großen Hehl aus seiner politischen Haltung: Neben allerlei Bildern von großkalibrigen Waffen findet sich das für Rechte aktuell übliche Potpourri: Geteilte Beiträge der AfD und der Zeitung „Junge Freiheit“, Bilder eines Kreuzritters und das Wappen des deutschen Kaiserreichs, sowie die Forderung, Angela Merkel vor ein Tribunal zu stellen.

Die Ermittlungen gegen Franco Albrecht sind nicht das einzige Verfahren wegen dem Verdacht auf rechten Terror, wo der Name von Rainer He. auftaucht: Auch Markus H., der neben Stephan Ernst mitangeklagt war, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 ermordet zu haben, kaufte über die Onlinebörse bei ihm ein. Er wurde vom selben Senat, vor dem nun Franco Albrecht angeklagt ist, freigesprochen, weil aus Sicht des Senats keine ausreichenden Beweise vorlagen. Ein direkter Zusammenhang zwischen H und Albrecht ist jedoch nicht ersichtlich: He. und sein Partner sind sehr umtriebig auf der Onlinebörse für Waffen, ihr Profil hat über 700 Bewertungen. So zeigt sich hier, wie leicht es für Neonazis ist, an Waffen zu gelangen.

Von großem Vorteil war die Bekanntschaft zu He. für Albrecht im Weiteren jedoch nicht: Laut der Aussage eines BKA-Beamten habe sich He. nach Medienberichten über die Verhaftung Albrechts selbstständig bei der Polizei gemeldet und über den Besitz von Albrechts zwei weiteren Waffen berichtet.

Alte rechte Netzwerke in Bayern

Laut Recherchen des Bayrischen Rundfunks (BR) knüpfte Albrecht Kontakte in weitere extrem rechte Netzwerke über die Bundeswehr hinaus: Im Oktober 2016 soll er an einem Treffen des „Jagsthausener Kreis“ im bayrischen Freilassing teilgenommen haben. Beim „Jagsthausener Kreis“ handelt es sich um ein seit Jahrzehnten bestehendes ultrarechtes loses Netzwerk. Bei den Veranstaltungen kommen rechte Militärs, Beamte, Wirtschaftsführer und Mitarbeiter von Geheimdiensten zusammen. Laut BR seien an jenem Treffen, an dem auch Albrecht teilnahm, Politiker von FPÖ und AfD zugegen.

Einige Wochen darauf, im Dezember 2016, hielt Albrecht einen Vortrag auf einer weiteren Veranstaltung von extrem rechten Kreisen in Bayern: Auf eine Einladung hin hielt er beim „Preußen Abend“ im Hotel Regent in München einen Vortrag. Auch diese Organisation existiert bereits seit Jahrzehnten. Auch hier gehen die Einladungen an rechte Militärs, Neonazis, AfD-PolitkerInnen und Funktionäre von Vertriebenenverbänden. In seinem Vortrag habe Albrecht, zumindest laut seinem Redemanuskript, dabei zum bewaffneten Kampf gegen „das System“ aufgerufen und bekannt, Rassist und Antisemit zu sein.

„Jagsthausener Kreis“ und „Preußen Abend“ sind seit Jahrzehnten bestehende rechte Strukturen, bei denen nicht nur Neonazis sondern mitunter Politiker, Geheimdienstler und hochrangige Militärs sich treffen. Wer führte den Oberleutnant Albrecht in diese Kreise ein, sodass er dort sogar eine Rede halten konnte?

Unangekündigte Besuche

Neben Albrechts direktem Umfeld und seinen Auftritten bei rechten Veranstaltungen suchte er auch immer wieder den Kontakt zu Autoren und Thinktanks, denen er politisch nahe stand. Seine Spezialität schienen unangekündigte Besuche in Büros oder bei Autoren Zuhause zu sein, wie er im Prozess angab. So besuchte er beispielsweise mehrfach David Icke auf der britischen Isle of Wight um mit diesem ins Gespräch zu kommen, zweimal erfolgreich laut Albrecht. Bei Icke handele es sich um jemanden, „der ganz wilde Theorien in alle Richtungen“ habe, so Albrecht im Prozess. „Wild“ ist dabei maßlos untertrieben und in welche Richtung Ickes Theorien gehen, ist eindeutig: Bei David Icke handelt es sich um einen Guru der Verschwörungsideologen. Er gilt als Erfinder der „Echsenmenschen“-Theorie, nach der die Welt beherrscht werde von reptiloiden Wesen in Menschengestalt. Ickes augenscheinlich abstruse Erzählungen werden als antisemitische Chiffre kritisiert, die er mit anderen antisemitischen Narrativen anreichert. In Deutschland und Australien wurden Veranstaltungen mit ihm wegen der Leugnung des Holocausts im Vorfeld untersagt.

Doch auch Rechte, die nicht ganz so offenkundig abstrus auftreten, kontaktierte Albrecht. In Paris besuchte er unangekündigt 2016 das Büro des „Institut de Demokratie et de la Cooperation“. Hinter dem unscheinbaren Namen verbirgt sich ein Thinktank des russischen Staates, der in Europa insbesondere Kontakte zur extremen Rechten pflegt. Der Thinktank organisiert beispielsweise seit 2012 gemeinsam mit dem Compact-Magazin Veranstaltungen unter dem Label „Souveränitätskonferenzen“. Dort sprach auch mehrfach die Direktorin des Pariser „Instituts“. Diese wollte Albrecht sprechen als er in Paris war, wurde jedoch abgewiesen.

Der Überblick über das Umfeld von Franco Albrecht zeigt, wie viele Fragen nach einer möglichen Unterstützung durch andere Personen noch offen sind. Albrecht bewegte sich in extrem rechten Kreisen, hatte Kontakt zu Soldaten und Waffenhändlern, die seine extrem rechte Ideologie teilten und sich auf einen „Tag X“ vorbereiteten. Seine Tarnidentität als Geflüchteter und das Ansammeln von Waffen wäre ohne die Handlungen weiterer Menschen wohl nicht möglich gewesen. Dass Albrecht ganz alleine von den Terrorplänen gewusst haben soll, die ihm vorgeworfen werden, erscheint daher zumindest zweifelhaft. Und auch die Frage, ob Geheimdienste wie der Militärische Abschirmdienst (MAD) nicht doch etwas davon mitbekamen, wenn vor ihren Augen sich rechte Netzwerke in der Bundeswehr bildeten und Munition verschwand, ist offen. Der Gerichtsprozess in Frankfurt wird hierauf keine abschließenden Antworten geben. So hängt es wieder einmal von einer kritischen Öffentlichkeit ab, ob diese Fragen beantwortet werden oder nicht.

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[Einsendung] Outing: Franco Albrecht studiert Jura an der Goethe-Universität

Engagierte Antifaschist*innen haben uns anonym folgendes Outing zukommen lassen.

Vorstellung Franco Albrecht

Mit diesem Outing möchte sich ein prominenter Student der Goethe-Universität Frankfurt vorstellen. Es handelt sich um den Rechtsterroristen Franco Albrecht, welcher sich derzeit wegen der Vorbereitung von Terroranschlägen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt in einem Prozess verantworten muss. Albrecht machte Notizen zu eindeutigen Anschlagsplänen, führte Listen mit politischen Gegner*innen, spionierte einzelne von ihnen aus und hortete Waffen, Sprengstoff und Munition. Mindestens eine Pistole und ein militärisches Sturmgewehr hält er noch immer versteckt und will nicht sagen, wo sie sind oder wer sie hat.

Mit ganzem Namen heißt er Franco Hans Albrecht und wurde am 18.01.89 in Offenbach geboren. Dort wohnt er in der Bettinastraße 1. Außerdem studiert der beurlaubte Bundeswehrsoldat seit vergangenem Jahr an der Goethe-Universität Rechtswissenschaften (Jura). Er fährt ein Motorrad mit dem Kennzeichen OF-C-589.

Wir sind überzeugt, dass rechte Terroristen an der Hochschule nichts
verloren haben! Franco‘s Weltbild stellt nicht zuletzt eine Gefahr für
Studierende und Beschäftigte der Hochschule dar. Auch wenn Albrecht versucht sich als harmloses und unbescholtenes Opfer darzustellen, nehmen wir ihm diese Rolle nicht ab und sind überzeugt, dass es sich um einen Rassisten handelt. In seiner Masterarbeit bediente er sich rassistischen und verschwörungsideologischen Narrativen.

Nazis müssen in allen Bereichen ihres Leben auf Widerstand stoßen. Sei es an der Hochschule an der sie studieren, bei zukünftigen Arbeitgeber*innen oder im Kindergarten der eigenen Kinder.

Wir möchten mit diesem Outing eine antifaschistische Intervention
starten, da Albrecht seit vergangenem Jahr unbehelligt an Seminaren
teilnehmen kann und bereits Kurse belegte. Man kann nicht ausschließen, dass die Universität für Albrecht nicht auch ein Ort sein kann, an dem er Leute kennenlernt, welche er als politische Gegner*innen ausmacht. Mitstudierende von Albrecht, die nicht in sein rassistisches Weltbild passen, könnten potentielle Betroffene seiner tödlichen Ideologie sein. Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, mit wem sie in Seminaren sitzen. Wir wollen nicht auf den nächsten rechten Terroranschlag warten!

Zeigt Franco Albrecht was ihr von ihm und seinem menschenverachtendem Weltbild haltet!

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Vier Jahre später – über die juristische Auseinandersetzung um Franco Albrecht

ein Text vom Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Frankfurt am Main (AkJ)

Über vier Jahre dauerte es, bis der Prozess gegen Franco A. vor dem Oberlandesgericht begann. Die bis zum Prozessbeginn geführte juristische Auseinandersetzung macht dabei keine Hoffnung auf eine vollständige Aufarbeitung.

Am 3. Februar 2017 wurde Franco A. zum ersten Mal festgenommen, als er eine Pistole nach Deutschland schmuggeln wollte. Im Zuge der Ermittlungen kamen die Behörden zu dem Schluss, dass Franco A. sich als syrischer Kriegsflüchtling ausgegeben hatte, um unter fremdem Namen und mit gestohlener Munition aus Bundeswehrbeständen Anschläge auf seine politischen Feinde zu verüben. Es fanden sich “Feindeslisten” in seiner Wohnung, außerdem wurde ein ganzes Netzwerk von rechtsextremen Bundeswehrsoldaten aufgedeckt, mit denen Franco A. in Kontakt stand. In der Folge wurde ein Haftbefehl erlassen, Franco A. kam in Untersuchungshaft. Vorgeworfen wird ihm insbesondere, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB). Darüber hinaus werden ihm Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz sowie das Sprengstoffgesetz, Diebstahl und Betrug vorgeworfen.1

Aufgrund der Schwere der Vorwürfe und der eigentlich nicht zu verkennenden rechtsextremen Motivation A’s überraschte es sehr, dass dieser bereits sechs Monate nach seiner Festnahme wieder aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Denn anders als von öffentlicher Seite aufgrund der immensen Menge an Indizien angenommen, sah der Bundesgerichtshof (BGH) zu diesem Zeitpunkt keinen dringenden Tatverdacht für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Dadurch sei auch eine mehrjährige Haftstrafe nicht mehr hinreichend wahrscheinlich und es somit auch unwahrscheinlich, dass sich Franco A. durch Flucht dem Prozess entziehen würde. Damit zeichnet der BGH gleichzeitig einen Weg für ein mögliches Endurteil vor, so wie es beispielsweise auch bei Markus H. im Lübcke-Prozess gewesen ist. Franco A. kam also wieder auf freien Fuß, zu den Gerichtsterminen fährt er mit seinem Roller von Offenbach nach Frankfurt.

Diese Entscheidung des BGH zeigt wieder einmal, dass auf den Staat kein Verlass ist, wenn es um die (juristische) Aufarbeitung rechter Gewalt geht. Sei es der NSU-Komplex, der Mord an Walter Lübcke sowie der Angriff auf Ahmed I. oder die Ermittlungsarbeit rund um die rassistischen Morde in Hanau.

Dass der Staat hier nicht durchgreift, liegt jedoch nicht daran, dass es ihm hier an Möglichkeiten fehlt. So wird bei dem Tatbestand der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat die Strafbarkeit vor das eigentliche Geschehen vorverlagert. Strafbar macht man sich also nicht wie in anderen Fällen erst, wenn man unmittelbar zur Tat ansetzt, sondern bereits bei der Planung. Auch mehr als 6 Monate Untersuchungshaft sind ein immenser Freiheitseingriff. Es scheint jedoch so, als werden diese Bedenken erst relevant, wenn es darum geht, ob ein bewaffneter rechtsextremer Bundeswehrsoldat auf freiem Fuß bleiben kann. Wenn die von Polizei und Justiz zur “Terroristin” hochstilisierte Lina E. mehr als sechs Monate in Untersuchungshaft sitzt, scheint es solche Bedenken nicht zu geben. Bei Franco A. reichen dem BGH aber ganz offensichtlich weder die gefundenen Waffen noch die rechtsextreme Haltung und die gefundene “Feindesliste”, um durchzugreifen. Denn die Liste könnte auch nur “eine Art „Ranking“ der Personen nach den möglichen Kriterien Bekanntheitsgrad, Stellung innerhalb der linken Szene oder Ähnliches” sein, wodurch nicht klar sei, “ob es sich dabei um eine Liste mit potenziellen Anschlagszielen handele.”2 Damit verkennt der BGH zum einen die Lebenswirklichkeit von betroffenen Personen, deren Namen auf solchen Listen auftauchen und zum anderen die tatsächliche Gefahr, die von Personen wie A. und deren Netzwerken ausgehen.

Diese Entscheidung blieb auch juristisch nicht folgenlos. Im Dezember 2017 erhob die Generalbundesanwaltschaft, zu Recht immer noch überzeugt von den Anschlagsplänen Franco A’s, Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) in Frankfurt. Das Gericht ließ sich ein halbes Jahr Zeit, um im Juni 2018 zu verkünden, dass es sich nicht für zuständig halte. Es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht für die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat, weshalb stattdessen das Landgericht Darmstadt zuständig sei. Obwohl das OLG zugibt, dass einiges darauf hindeutet, dass Franco A. die „Tat schon hinsichtlich Tatort, Tatmittel und Tatopfer konkretisiert“ habe und auf Grundlage seiner völkischen und antisemitischen Einstellung eine „politisch wirksame Handlung vornehmen [wollte], um die Verhältnisse in Deutschland nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen“3, schließt das OLG aus der Tatsache, dass Franco A. diesen Anschlag noch nicht begangen hat, dass er zur Begehung der Tat „noch nicht fest entschlossen war.“4 Weil er den Anschlag also noch nicht begangen habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er es vorhatte. Eine an Absurdität kaum zu überbietende Entscheidung. Während überall in Deutschland linke Aktivist*innen unter dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§ 129 bzw. § 129a StGB) verfolgt und teilweise ohne Prozess jahrelang weggesperrt werden, werden bei Franco A. offenbar beide Augen zugedrückt. Gerade bei einem rechtsextremen Bundeswehrsoldaten, also einem Mitglied der Institution, die seit Jahren Schlagzeilen durch auffällig werdende Rechtsextreme in den eigenen Reihen macht, erinnert sich das OLG auf einmal an liberale rechtsstaatliche Grundsätze, die bei Prozessen gegen Linke seit Jahrzehnten in ihr Gegenteil verkehrt werden. Auf einmal reichen eine falsche Identität, gestohlene Waffen, rechtextreme Einstellung und Todeslisten nicht einmal aus, um eine Anklage zuzulassen.

Daraufhin folgte ein Zuständigkeitsstreit, welcher den Prozessbeginn weiter verzögerte. Die Bundesanwaltschaft hielt den Staatsschutzsenat weiterhin für zuständig und legte eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof ein. Dieser brauchte dann noch einmal eineinhalb Jahre (!), um über diese Beschwerde zu entscheiden. Anders als bei der Aufhebung des Haftbefehls kommt der BGH aber diesmal zu einem nachvollziehbaren Entschluss: Aufgrund der politischen Dimension, die Franco A. seiner Tat wahrscheinlich geben wollte, seien „eine Vielzahl von Gründen denkbar […] die Tat, zu der er fest entschlossen war, noch nicht zu begehen.“5 Dadurch liege ein hinreichender Tatverdacht bezüglich der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vor, wofür das Oberlandesgericht zuständig sei. Es stellt sich nur noch die Frage, warum der BGH über ein Jahr gebraucht hat, um diesen banalen Schluss zuzulassen.

Im Mai 2021 begann nun der Prozess vor dem Oberlandesgericht – dem Gericht, welches die Anklage zunächst gar nicht zulassen wollte. Ob das Gericht seine Meinung inzwischen geändert hat und eine Verurteilung Franco A’s nun in Betracht zieht, wird sich zeigen. Der bisherige Verlauf verheißt jedoch nichts Gutes.

Franco A. hat die verstrichene Zeit gut genutzt. In den verschiedensten Medien stellt er sich als rechtschaffener Bürger dar, welcher nur angebliche Unstimmigkeiten in deutschen Asylverfahren habe aufdecken wollen. Völlig realitätsfern, aber durchaus medienwirksam konstruiert er hier eine Geschichte, nach der gegen ihn nun ein politisch motivierter Schauprozess laufe. Dies erinnert an die antisemitischen Verschwörungserzählungen, welche er auch in seiner 2013 verfassten Masterarbeit vertritt. Hierbei bekommt er von rechten Medien Rückenwind, „Russia Today“ z.B. attestierte ihm in einem Interview sogar „altruistische Motive.“6

Die deutsche Justiz muss sich dagegen bereits vor dem Ende des Prozesses den Vorwurf machen lassen, bei der juristischen Aufarbeitung versagt zu haben. Die bisherige juristische Auseinandersetzung macht nicht den Eindruck, aus dem NSU- und Lübcke-Prozess etwas gelernt zu haben. Stattdessen entsteht wieder der Eindruck, dass die Justiz rechtsmotivierte Straftaten nicht ernst nimmt. Die Tatsache, dass der Prozess ohne ersichtlichen Grund über vier Jahre hinausgezögert wurde, ist inakzeptabel. Insbesondere für die Betroffenen von rechter Gewalt ist eine solche Verzögerung eine Zumutung. Gerade gegenüber diesen Personen ist der Staat verpflichtet, eine effektive Strafverfolgung sicherzustellen. Stattdessen haben Versäumnisse im Ermittlungsverfahren und offensichtliche Missstände in der Justiz nun dazu geführt, dass Franco A. seit Jahren frei herumläuft und die breite Öffentlichkeit längst das Interesse an seinem Prozess verloren hat. Wieder einmal scheint es, als sei auf eine konsequente Aufdeckung der Strukturen innerhalb der Bundeswehr (!), in denen sich Franco A. trotz seiner rechtsradikalen Einstellung bewegen und sogar Waffen unterschlagen konnte, nicht zu hoffen.

Für den weiteren Verlauf des Prozesses verheißen die Umstände folglich nichts Gutes. Dadurch ist es umso wichtiger, dem Staat bei seinem Umgang mit rechter Gewalt kritisch zu beobachten und zu hinterfragen.

Aufklärung bleibt Handarbeit!

1 https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/Pressemitteilung-vom-12-12-2017.html?nn=478286. Stand aller Links: 14.06.2021.

2 BGH AK 58/17 – Beschluss vom 29. November 2017.

3 https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/strafverfahren-gegen-franco-wird-vor-dem-landgericht-darmstadt-er%C3%B6ffnet.

4 https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/strafverfahren-gegen-franco-wird-vor-dem-landgericht-darmstadt-er%C3%B6ffnet.

5 BGH, Beschluss vom 22.08.2019 – StB 17/18.

6 https://www.youtube.com/watch?v=pbMZu6ux4ew.

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Redebeitrag auf Demo nach Bekanntwerden des Frankfurter Nazi-SEK Skandals (11.06.2021)

Vor genau zwei Tagen wurden in Hessen die Wohnungen von sechs SEK Beamten durchsucht. Ins Visier gerieten sie und ihre 14 weiteren rechten Kollegen durch Aktivitäten in einer rechtsextremen Chatgruppen. Volksverhetzende Inhalte und Nazi-Symbole gehörten zum gängingen Repertoire der Gruppenkommunikation. Dass die menschenfeindlichen Staatsdiener aus dem Spezialeinsatzkommando (SEK) des Frankfurter Präsidiums lediglich aufgefallen waren, da einer der Polizisten unter Kinderporno-Verdacht stand, überrascht kaum.
Die vergangenen drei Jahre sind geprägt von rein zufälliger Aufspürung und Kenntniserlangung über (hessische) extrem Rechte Bullenchatgruppen, die beiläufig durch andere Verdachtsfälle oder nach rassistischen Ermittlungen in die falsche Richtung ins Licht rückten.
Die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız erhielt 2018 mehre anonyme Faxschreiben mit rassistischen Anfeindungen, u.a. mit der Drohung „ihre zweijährige Tochter abzuschlachten“. Wohnort der Anwältin und Name der Tochter sowie weiterer Angehöriger waren den verfassenden bekannt. Bereits nach dem ersten Schreiben gab sie den Hinweis an die Polizei, es könne sich um eine rassistisch motivierte Tat von Nazis handeln. Dabei stieß Seda Başay-Yıldız zunächst auf Abwehrreaktionen bei den Exekutivorganen. LKA Ermittlungen führten schließlich später zur Aufdeckung eines extrem rechten Terror-Netzwerkes innerhalb der hessischen Polizei. Gegen zahlreiche Beamt:innen, auch vom Frankfurter 1. Revier an der Konstablerwache in Frankfurt, liefen deswegen Verfahren. Im Frühjahr 2021 wurde ein mutmaßlicher Berliner Verfasser Alexander M. der Briefe unter dem Pseudonym NSU 2.0 verhaftet. Statt der Spur weiter nachzugehen, gab sich Peter Beuth erleichtert und sah die hessischen Verdachtsfälle entkräftet. Auch Hilfegesuche nach rechten Drohschreiben wurden Angaben von Betroffenen zufolge seit 2018 ignoriert oder nicht genug nachgegangen. Wie auch, wenn die Polizei gegen die Polizei ermitteln sollte.

Am Landgericht Schwerin war ab November 2019 Marco G. angeklagt, ein langjähriger LKA-Beamter. vorgeworfen wird ihm, Anfang 2016 die Telegram-Chatgruppen „NORD KREUZ“ gegründet zu haben, in der sich über 60 Mitglieder, darunter viele aus Polizei und Bundeswehr, zusammenfanden. Vision dieser Gruppen war die gesellschaftliche Krise Deutschlands durch Krieg, Naturkatastrophen und wirtschaftlichen Niedergang. Dem vorbeugend bereiteten sie den sogenannten “Tag X” vor. Gewehre, Pistolen, Messer, Blendgranaten, Schlagstöcke und über 50.000 Schuss Munition wurden bei Hausdurchsuchungen sichergestellt. Etliche tausend Menschen – Politiker:innen, Journalist:innen, Künstler:innen, Aktivist:innenen standen auf Feindeslisten. Die Beschaffung von Leichensäcken war auch bereits geplant. Marco G.s Urteil: ein Jahr und neun Monate Haft. Eine Bewährungsstrafe.

Anfang 2020 wurden Wohnungen u.a. dreier Frankfurter Polizisten durchsucht. Der Vorwurf lag in der Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen. Ob diese auch mitchatten durften, ist auktuellen Ermittlungen zufolge bislang ungeklärt.
Sowohl in der Vergangenheit wie auch im jüngsten Fall am Beispiel des Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill wie auch der Landesinnenminister Peter Beut wird bagatellisiert. Während Beuth lediglich plant wo es rechtlich möglich sei, die Beschuldigten aus der hessischen Polizei zu entlassen zieht Mr. Cop President einen regelrechten Motivationsschub aus der extrem rechten Manier seiner Mitarbeiter:innen. Er schwadroniert vom einheitlichem Verhaltenskodex und somit verbesserungswürdigem Corpsgeist. Der Ehrgeiz sich der Fehlerkultur in den Weg zu stellen erhöhe sich. Alle Mitarbeiter:innen müssten sich an Regeln halten, dass gelte es nun zu bewältigen.

Wenn die polizeilichen Spezialeinheiten sich mal wieder einen Streich erlauben, dann gehts an die Fehlerbereinigung. Was wir vorfinden ist nicht nur ein Ausschlagen von flächendeckenden Ermittlungen in allen deutschen Sicherheitsbehörden. Rassismus, Antisemitismus und jegliches neonazistisches Gedankengut werden verschwiegen und oder verharmlost. Als Platzhalter hierfür dient eine flotte Unternehmensberatung für das SEK.

Frankfurt ist auch der Ort, an dem derzeit der beurlaubte Bundeswehr Soldat Franco A. aus Offenbach vor Gericht wegen Vorbereitung eines terroristischen Anschlags steht. Um in einem möglichen 3. Weltkrieg, den er in der Migration verursacht glaubt Widerstand leisten zu können, bewaffnete er sich. Trotz dessen, dass seine Pläne des rechten Umsturzes seit über drei Jahren bekannt sind, ist er auf freiem Fuß.

Zu betonen, dass es sich weder um einen Einzelfall noch um ein neues Phänomen handelt, wird so furchtbar es ist, zur Regel. Vorallem wenn sich Ermittlungen gegen die Polizei richten (sollten), kommt es selten zu umfassender Aufklärung oder gar Verurteilungen. Das wurde neben dem Fall der Anwältin, auch bei den Ermittlungen gegen Familien von NSU-Opfern mit dem Vorwurf der organisierten Kriminalität, sichtbar.

Wirft man einen Blick auf die deutsche Geschichte zeichnet sich ein ununterbrochener Zusammenhang feststellen. NationalsozialistInnen wurden nach 1945 wichtige Funktionäre im Staatsapparat, ohne je für ihre grauenhaften Machenschaften während der Shoa belangt zu werden. Nazis sind beständiger Teil von Parlamenten, Justiz, (Polizei-)behörden und Verfassungsschutz. Entgegen dem Postulat einer „Entnazifizierung“ wurde nahezu jegliche Aufklärungsarbeit verdeckt. Die Motivation ist autoritär und antikommunistisch.

Verbindungen zwischen Geheimdiensten und Neonaziorganisationen sind offenkundig. Jegliche NPD-Verbotsversuche scheiterten aufgrund einer von V-Männern durchsetzten und aufgebauten Partei. Versuche, aus den Fehlern der Vergangenheit explizit im Fall NSU zu lernen und den Polizeiapparat strukturell zu verändern, scheiterten. Sie führten ausschließlich zu deutlich mehr Befugnissen für die Polizei und Geheimdienste.

Der Prozess und das Urteil gegen den selbsternannten NSU zeigten auf, dass es keine wahrhaft demokratische Aufklärung und Aufarbeitung rechten Terrors in Deutschland gibt. Beispielhaft hierfür steht das Narrativ der Trio-These. Dieses weicht von jeglicher antifaschistischer, journalistischer und wissenschaftlicher Recherche ab und ist falsch. Hierzu zählt nicht nur die Unfähigkeit rechte Strukturen zu benennen, sondern in dem beispielsweise Frauen ihre Kriminalität und Radikalität wie im Fall Zschäpes abgesprochen wird.

Schluss mit dem Konsequenten Wegducken!
Wir fordern die Auflösung des Verfassungsschutzes und konsequente Bekämpfung extrem rechter Terrorzellen!

Anstatt rechten Terror als aus der Mehrheitsgesellschaft entsprungen zu sehen, wird Faschismus zum sensationellen Einzefall deklariert. #KeinSchlussstrich bedeutet sich stetig mit der (deutschen) Geschichte auseinanderzusetzen. Die antifaschistische Organisierung bleibt unabdingbar. Gerade deswegen ist ein Bewusstwerden über verinnerlichten Rassismus, Antisemitismus und Sexismus notwendig.
Seid aufmerksam, greift auf bereits vorhandene Recherchen zurück und betreibt Aufklärung über Nazistrukturen. Rechte Terrorzellen entstehen nicht über Nacht. Es gilt Nazis einzuschüchtern und sie wissen zu lassen, dass sie ihre faschistische Ideologie nicht ungestört ausüben können. Einschätzungen und Analysen zu rechtem Terror und der extremen Rechten in Hessen findet ihr u.a. bei NSU Watch. Beteiligt euch an der antifaschistischen Kampagne zu rechtem Terror anlässlich des Prozesses gegen den Bundeswehrsoldaten Franco Albrecht.
Gegen den Einzeltätermythos!

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Der MAD – den Bock zum Gärtner gemacht?


Auszug aus dem Buch Braunzone Bundeswehr: rechtsum in der Männertruppe von Lucius Teidelbaum

Offiziell liegt eine Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes
(MAD) in der »Extremismusabwehr«: »Zu den gesetzlichen
Aufgaben des MAD gehören die Informationssammlung und
-auswertung zum Zwecke der Extremismus- und Terrorismus-
abwehr sowie der Spionage- und Sabotageabwehr.« (www.
mad.bundeswehr.de) Wenig ist darüber hinaus über den kleinsten der bundesdeutschen Geheimdienste in der Öffentlichkeit bekannt, der
seinen Namen erst seit einer Umstrukturierung 1984 trägt.

Der MAD ist quasi der Geheimdienstzweig der Bundeswehr.
Kernaufgabe des MAD sollte ursprünglich die reine Spio-
nageabwehr sein, wobei es aber nie blieb, wie im Folgenden
dargestellt wird. 2006 schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage zu den offiziellen Aufgaben des MAD: »Gemäß
§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst
ist es Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes (MAD),
Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung zu sammeln und auszuwerten. […] Die
Ergebnisse der Arbeit des MAD gehen in die Stellungnahme des
Bundesministeriums der Verteidigung zu der im Jahresbericht
des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages veröffentli-
chten Statistik über rechtsextremistische Vorkommnisse in der
Bundeswehr ein.«


Ein Geheimdienst also als Verteidiger und Garant der
freiheitlichen-demokratischen Ordnung? Grund genug, näher
hinzuschauen. Auch wenn nur wenig über die Geschichte des MAD bekannt ist, dürfte er in der Anfangszeit ebenso wie der Bundesnach-
richtendienst (BND) und sein Vorgänger, die Organisation
Gehlen, seine Mitarbeiter auch aus ehemaligen ›Fachkräf-
ten‹ des ›Dritten Reiches‹ (besonders aus Altbeständen der
74Wehrmacht, SD, SS und Gestapo) rekrutiert haben. BND
und MAD weisen damit eine gemeinsame Familiengeschichte
auf, in der ihr gemeinsamer Stammbaum in einem braunen
Wurzelwerk endet.

Sehr anschaulich wird die Geschichte des MAD am Bei-
spiel der Biografie seines ersten Kommandeurs, Gerhard Wes-
sel (1913-2002). Wessel war ein Wehrmachtsoffizier, der es bis
in den Rang eines Oberstleutnant im Generalstab schaffte. Ab
1943 war er als ›Gruppenleiter I (Feindlage Sowjetunion)‹ in
der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) im Generalsstab des
Heeres beschäftigt. Aus der Wehrmachts-Spionageabteilung
FHO sollte sich in den westalliierten Besatzungszonen die
Organisation Gehlen benannt nach dem FHO-Chef Reinhard
Gehlen (1902-1979), herausbilden. Gehlen bot kurz nach der
Kapitulation 1945 den Westalliierten eine Art Kuhhandel an.
Gegen den gesicherten Fortbestand seiner Truppe, Autonomie
und Straffreiheit versprach er den Westalliierten, besonders
den USA, Informationen über die und Informanten in der
Sowjetunion. Unter den Vorzeichen des beginnenden ›Kal-
ten Krieges‹ gingen die Westalliierten tatsächlich auf diesen
Handel ein. Einigender Kitt aller Beteiligten war ihr Antikom-
munismus. Gehlen arbeitete zuerst für die Westalliierten und
später dann für die Bundesrepublik. Aus dem Fremde Heere
Ost der Wehrmacht wurde die Organisation Gehlen und aus
dieser später der BND. Wohl nirgendwo sonst findet sich ein
derart ungebrochener Übergang einer NS-Organisation hinü-
ber in die Funktionselite der Bundesrepublik Deutschland.
Unter Gehlens Schützlingen dürfte sich damals schon
auch Wessel befunden haben. Sicher ist, dass Wessel 1955 als
Oberst i. G. – also in seinem alten Wehrmachtsrang (!) – in die
Bundeswehr übernommen wurde. Er war anschließend mit
Gründung des MAD vom Januar 1956 bis September 1957
der erste MAD-Kommandeur. Später beerbte er von 1968 bis
1978 Gehlen als BND-Präsidenten.

In Anbetracht der braunen Geburtshelfer des Bundeswehrge-
heimdienstes verwundert es nicht, dass die Feindbestimmung
vor allem zur Linken hin vorgenommen wurde. Den strikt
antikommunistischen Geist hatte man sich von früher her
bewahrt. So kam es, dass Rechte in der Truppe mit Samt-
handschuhen, Linke aber mit der eisernen Faust angefasst
wurden. Das entsprach dem lange in der Bundesrepublik vor-
herrschenden McCarthy-Geist. Der Autor Matthias Münch
schreibt 1983 über die Arbeit des MAD: »Kontaktversuche
[zu Gewerkschaften] wurden im Rahmen der Feindaufklärung
wie ein Angriffs- oder Sabotageakt behandelt.«
Als ›politisch unzuverlässig‹ galten lange fast nur Personen,
die irgendwie der Linken zugeordnet wurden. Die Bespitze-
lung reichte bis in das Umfeld der vermeintlich Verdächtigen
und so wurden auch Dossiers über Nicht-Angehörige der
Bundeswehr angelegt.


Dass der MAD lange Zeit auf dem rechten Auge blind war,
illustrieren auch die rechtslastigen Biografien ehemaliger
MAD-Funktionäre eindrücklich:
• Wolfgang Juchem, Organisationssprecher der extrem rech-
ten Kleinstorganisation Aktion freies Deutschland und als
solcher häufiger Referent bei anderen rechten Gruppen;
ist Major a. D. und ehemaliger Bundeswehrgeheimdienst-
Offizier des MAD.
• Gerd-Helmut Komossa verfasste das Vorwort zu dem im
extrem rechten Grabert-Verlag erschienen Buch Ideologie
gegen Wehrmacht-Tradition; er ist Gründungsmitglied der
deutschnationalen Gesellschaft für die Einheit Deutschlands
und seit 1989 deren Präsident. Zudem ist er der Heraus-
geber und Chefredakteur/Autor des rechten Blättchens
Forum Deutsche Einheit, Unterzeichner der geschichtsre-
visionistischen Erklärung zur Präsentation der Anti-Wehr-
machtsausstellung in der Frankfurter Paulskirche von 1997,
Referent bei der ultrarechten Staats- und Wirtschaftspo-
litischen Gesellschaft, Autor und Interviewpartner in der
76Jungen Freiheit, der DVU-nahen Deutschen Nationalzeitung
und in den Burschenschaftlichen Blättern, Schreiber für das
revanchistische Ostpreußenblatt und Leiter von dessen Res-
sorts Wehrwesen/Geopolitik). Er ist mit einer Vergangenheit
als Wehrmachtssoldat (1943-1945) Ex-Chef des MAD und
zuletzt Befehlshaber des Territorialkommandos Süd. Im
Jahr 1984 schied er als Generalmajor a. D. aus dem aktiven
Dienst aus und wurde Direktor des Forschungszentrums für
Friedenssicherung und Lehrbeauftragter an der Universität
Würzburg. Im Jahr 2002 nahm Komossa als Referent an
der fünften Wehrpolitischen Tagung des umstrittenen Stu-
dienzentrum Weikersheim, einer Kaderschmiede am rechten
Rand der CDU, teil.
• Günter Poser, ehemaliger stellvertretender Bundesvorsit-
zender der rechtsradikalen Republikaner, schrieb 1996 für
die extrem rechten Unabhängigen Nachrichten und für
Nation & Europa und engagierte sich für die inzwischen
aufgelöste rechte Kleinst-Partei Aufbruch ‘94. Er ist Kon-
teradmiral a. D. und ehemaliger MAD-Chef.
• Paul Albert Scherer, als Unterstützer der rechtslastigen
Polit-Sekte Patrioten für Deutschland um Helga Zepp-
LaRouche noch vergleichsweise harmlos, ist ebenfalls ehe-
maliger MAD-Chef.


Immerhin: Die vollkommene Erblindung auf dem rechten
Auge scheint etwas nachgelassen zu haben. Allzu offen auf-
tretenden Neonazis wird der Zugang zur Bundeswehr inzwi-
schen tatsächlich verwehrt, wie aus empörten Einträgen in
Online-Foren der Szene hervorgeht. Deswegen raten verstärkt
Kameraden Bundeswehr-Interessierten an, auf Tauchstation
zu gehen und sich unauffällig zu verhalten.


Um einen guten Einblick in die rechte Szene zu erhal-
ten, bedient sich der MAD wie seine großen Brüder Verfas-
sungsschutz und BND fragwürdiger Methoden. der MAD
unterhält nämlich, was nahezu unbekannt ist, eine eigene
V-Mannschaft. Zur Erinnerung: Mit der Unterhaltung von
77sogenannten V-Leuten in der extrem rechten Szene bietet man
Täter_innen auf der Straße und am Rednerpult ein Ein- und
Auskommen, schützt sie vor möglichen Strafen und lässt ihnen
oft noch dazu wichtige Informationen zukommen (z.B. über
bevorstehende Razzien), die dann nicht selten weitergegeben
werden. Von Kritiker_innen wird deswegen angeführt, dass
die Unterhaltung von V-Leuten der extrem rechten Szene eher
nutze und dass sie juristische Maßnahmen erschwere (wie im
Fall des geplatzten NPD-Verbots).


In Folge des Skandals um die Förderung von Neonazis
durch den Verfassungsschutz in NRW im Jahr 2007 wurde
bekannt, dass auch der MAD versucht hatte, den Neonazi
›Robin Sch.‹ in dessen Bundeswehr-Zeit für sich zu rekru-
tieren. Nach einer Meldung der Tagesschau führte der MAD
auch einen V-Mann im Umfeld der Nazi-Terrorzelle Na-
tionalsozialistischer Untergrund. Die Tagesschau berichtet
online: »Zudem ermittelte nach ARD-Informationen auch
der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr
im Umfeld der drei Neonazis. Eine Verbindung könnte der
Sprengstoff sein, den das Trio zum Bau von Rohrbomben
eingesetzt hatte. Die Explosivstoffe könnten aus Bundeswehr-
Beständen stammen. Laut ›Focus‹ wurde der MAD kurz nach
dem Untertauchen des Trios 1998 über dessen Aufenthaltsort
informiert. Ein V-Mann des MAD habe diese Information
damals an eine Außenstelle der Behörde in Leipzig weiterge-
geben – die Information sei aber in der MAD-Zentrale in Köln
liegengeblieben.« (www.tagesschau.de)


Wie jeder Geheimdienst, so ist auch der MAD eine autoritäre
und zutiefst undemokratische Institution, die sich undemokra-
tischer Methoden und Mittel bedient, wie eine unvollständige
›Unfallchronik‹ des MAD verdeutlicht:
• 1962: Bei den Ermittlungen in der sogenannten SPIEGEL-
Affäre war auch der MAD mit von der Partie. Er beteiligte
sich u.a. an den Observationen.
78• 1975: Ab Januar 1975 überwachte der MAD Luftwaffen-
piloten, die sich an der ›Aktion Fliegerzulage‹ beteiligt
hatten, einem Versuch ihren Lohn zu verbessern.
• 1977: Bei der Schleyer-Entführung 1977 wurden bei der
Fahndung 140 MAD-Experten eingesetzt, obwohl das die
Grenzen des Erlaubten weit überschreitet. De facto wurde
damals ja ein Teil der Bundeswehr im Innern eingesetzt.
• 1978: Es wurde bekannt, dass die Wohnung der Sekretärin
des Verteidigungsministers Georg Leber (SPD) ohne dessen
Wissen vom MAD überwacht wurde. Weitere Abhörakti-
onen des MAD richteten sich z.B. gegen Franz-Josef Strauß.
Da Leber Anfang 1978 davon erfahren, diese Information
aber nicht weitergereicht hatte, musste er am 16. Februar
1978 von seinem Amt zurücktreten.
Solche eigenständigen Abhöraktionen dürfen als Hinweis
für eine starke Verselbstständigung und eingeschränkte
demokratische Kontrollierbarkeit des MAD gelten.
• 1983/84: Der MAD beteiligte sich an einer Schnüffel- und
Diffamierungskampagne gegen den hochrangigen Bundes-
wehr- und NATO-General Günter Kießling. Dieser wurde
aufgrund unterstellter Homosexualität und daraus angeb-
lich resultierender Erpressbarkeit aus dem Dienst verbannt.
1984 wurde Kießling rehabilitiert und ging in Pension.
Es war nicht das letzte Mal, dass der MAD Bundeswehran-
gehörigen wegen ihrer angeblich homosexuellen Orientie-
rung hinterherspionierte.
• 2001: Im Herbst 2001 soll der MAD in der US-Militärba-
sis von Tuzla (Bosnien-Herzegowina) Geheimverhöre bei
einem 70-jährigen Ägypter, der lange in München gelebt
hatte, durchgeführt haben.
• 2002: In Kabul (Afghanistan) soll der MAD laut den Aussa-
gen eines Ex-Soldaten gegen angebliche Waffenhändler und
Labors vorgegangen sein. MAD-Aktivitäten im Ausland
sind aber erst seit 2004 gesetzlich erlaubt.

Alles in allem scheint mit dem MAD tatsächlich der Bock zum
Gärtner gemacht worden zu sein.
Auch ansonsten scheint von staatlicher Seite eine konse-
quente Präventionsarbeit gegen generelle rechte Tendenzen in
der Bundeswehr zu fehlen. So heißt es in der Antwort auf eine
kleine Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei-Fraktion im
Bundestag von Anfang 2012 zu Maßnahmen gegen Rechts-
extremismus in der Bundeswehr: »Die Vorgesetzten nutzen
dazu die politische Bildung und weitere geeignete gestal-
tende Maßnahmen zur Persönlichkeitsbildung mit dem Ziel,
bei ihren Untergebenen das freiheitliche und demokratische
Bewusstsein auf der Grundlage der Werte und Normen des
Grundgesetzes auszuprägen. Sie nutzen dazu bundeswehrein-
heitliche Unterrichtsmodule und Materialien. Extremistischen
Tendenzen treten sie mit Entschiedenheit entgegen. Dabei
greifen sie auch auf einschlägiges Informationsmaterial des
MAD und Publikationen des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz zurück.


Neben der konsequenten Verfolgung extremistischer Ver-
haltensweisen mit den Mitteln des Straf- und Disziplinarrechts
liegt der Schwerpunkt der Anstrengungen im präventiven und
erzieherischen Bereich. Dabei wird von den Angehörigen der
Bundeswehr die ernst- und dauerhafte Bereitschaft gefordert,
sich entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung jederzeit
durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokra-
tischen Grundordnung zu bekennen und sich für deren Erhalt
einzusetzen.«


Mit den Materialien von antidemokratisch arbeitenden
Geheimdiensten gegen antidemokratische Tendenzen vorzu-
gehen, ist mehr als fraglich. Persönliche Berichte von Teilneh-
mern legen nahe, dass die Kurse zur ›Demokratie-Schulung‹
in der Bundeswehr eher wenig nachhaltig sind, viele konnten
sich nicht einmal daran erinnern an solchen teilgenommen
zu haben.

Mit freundlicher Unterstützung & Genehmigung durch den Unrast-Verlag. Der hier vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch Braunzone Bundswehr.

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Demobericht

Am Samstag den 15. Mai veranstalteten wir in Offenbach als Bündnis eine Demonstration unter dem Motto „Ein Einzelfall kommt selten allein“. Anlass war der Prozessauftakt gegen Franco Albrecht vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt.

Die Demo startete am Busbahnhof in Offenbach. Dieser war mit einer Plakataktion als Startpunkt der Demo markiert worden. Engagierte Aktivist:innen hatten die Parolen „So viele rechtsextreme Einzelfälle“ und „Free Lina“ plakatiert!

Nach einem kurzen Auftakt, bei dem mit unserem Aufruf klar gemacht wurde, dass wir gegen den Einzeltätermythos und den ehemaligen Bundeswehrsoldaten Franco Albrecht auf der Straße sind, wurde ein Grußwort von Martina Renner verlesen.

Die 400-Personen starke Demo startete kraftvoll und steuerte zielstrebig den ersten Kundgebungsort an. Dieser befand sich an der ehemaligen Kneipe Anitas Pilsstube. Dort wurde auf den Vorfall aus dem Jahr 2018 aufmerksam gemacht, bei dem Offenbacher Nazis – unter ihnen auch ein Polizeianwärter aus Hessen – rassistische Parolen riefen. Nachdem sie damit konfrontiert wurden, eskalierte die Situation und einer der Nazis warf einen Bierkrug. Die Demo solidarisierte sich mit den Betroffenen und machte auch auf das bestehende #Polizeiproblem aufmerksam.

An der nächsten Station wurde in einem Grußwort von Çetin Gültekin, dem Bruder des in Hanau ermordeten Gökhan Gültekin, erneut die These des vermeintlichen Einzeltäters problematisiert. Vor dem zweiten Offenbacher Polizeipräsidium am Ledermuseum wurde auf die Versäumnisse in der Ermittlungsarbeit hingewiesen und was das für die Arbeit der Betroffenen in der Initiative 19. Februar bedeutet – sie recherchieren und decken gravierende Fehler und Informationen zur Tatnacht auf.

Anschließend sprach die Gruppe Feministisch Antifaschistisch Offenbach (FAO) zu Nazistrukturen in Offenbach. Sie gingen auf rassistische und antisemitische Vorfälle der letzten Monate und Jahre in der Stadt ein. Weiter riefen sie zur Organisierung in antifaschistischen Strukturen, wie Offenbach solidarisch oder der freundlichen Antifa von nebenan auf!

Die brisanteste Stelle der Demonstration stellte die Bettinastraße dar. Dort wurde die Frage gestellt, wo sich all die Waffen befinden, welche in den vergangenen Jahren aus Polizei- und Bundeswehrbeständen verloren gingen. Mit einem Wechseltransparent wurde deutlich gemacht, dass genau in dieser Straße – genauer gesagt in der Hausnummer 1 – bei Franco Albrecht Waffen gefunden wurden. Der Rechtsterrorist, der sich seit Donnerstag vor Gericht für das Schreiben von Todeslisten und Auskundschaften politischer Gegner:innen verantworten muss, wuchs in der Bettinastraße auf und wohnt dort auch heute noch! Die Nachbarschaft wurde mit Flyern über ihren umtriebigen Nazinachbarn aufgeklärt, die Reaktionen reichten von Staunen bis Entsetzen. Auch die Apfelweinkneipe Klein (Bettinastraße 16) wurde als homezone von Albrecht öffentlich gemacht.

Nachdem vor der Offenbacher Synagoge ein herrenloses Gepäckstück gefunden wurde und die umliegenden Straßen evakuiert worden waren, nahm die Demonstration einen Schlenker über die Taunusstraße Richtung Rathaus. Gegen Abend gab es glücklicherweise Entwarnung bezüglich des Gepäckstücks. Um 17 Uhr erreicht die Demonstration ihren Endpunkt. Dort wurde der letzte Redebeitrag von NSU Watch Hessen gehalten. Er behandelte rechten Terror, den staatlichen Unwillen diesen aufzuklären und aktuelle Beispiele wie den sogenannten NSU 2.0. Die Gruppe begleitet auch den Prozess gegen Franco Albrecht und lädt zu jedem Tag Protokolle auf ihrer Webseite hoch.

Damit endete die antifaschistische Demo gegen rechten Terror in Offenbach. Sie stellt den Startpunkt für die Kampagne dar.