Die Polizei Lügt.
Liebe Freund*innen, Schwestern und Brüder,
wir als der Solikreis Bilel aus Herford und Bielefeld senden euch kämpferische Grüße
nach Frankfurt.
Am 03.Juni hat die Polizei auf den damals 19-jährigen Bilel ein Kugelfeuer eröffnet.
Sechs der 13 Polizist*innen haben 34-mal geschossen. Mindestens sechs Mal wurde er getroffen und ist jetzt querschnittsgelähmt. Nur mit Glück hat er überlebt. Doch wie kam es dazu?
Die Polizei wollte ihn kontrollieren, weil sein Auto ohne Licht unterwegs war. Bilel ist ohne Führerschein unterwegs, und versucht der Kontrolle zu entgehen. Die anschließende Verfolgungsjagd endete in einer Sackgasse eines Wohngebiets im Nachbarort Bad Salzuflen, wo die Polizist*innen 34 Schüsse auf Bilel abgegeben haben. Anwohner*innen sagen, dass er nicht fliehen konnte. Gutachten sagen, er hätte niemanden gefährdet.
Doch was machen Polizei und Staatsanwaltschaft?
Gegen den Betroffenen wird wegen versuchten Mordes und gegen seine Mutter wegen Dulden des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ermittelt. Gegen die Polizist*innen die 34-mal
auf ihn geschossen und ihn damit schwer verletzt haben, wird hingegen wegen versuchter Körperverletzung ermittelt und auch nur, weil das eine Routinesache bei einem Schusswaffeneinsatz ist.
Warum wurde auf ihn geschossen? Weshalb sollte sein Leben enden?
Bilels Geschichte ist kein Einzelfall! Nicht in Herford und auch nicht darüber hinaus.
Wir sind am 15.Juli und dann nochmal am 07.Oktober mit mehreren hundert Menschen in Herford auf die Straße gegangen. Denn wir glauben nicht, wie sie behaupten, dass sie aus reiner Notwehr geschossen haben. Wir glauben nicht, dass es Zufall war, dass die deutsche Polizei, auf einen 19-jährigen, migrantischen Jungen geschossen hat. Einen unbewaffneten Jungen. Sondern, dass sie aus rassistischen
Motiven heraus gehandelt haben. Hunderte hetzen im Netz und darüber hinaus, versuchen diese Tat der Polizei damit zu rechtfertigen, dass er eine Straftat begangen
habe, indem er ohne Führerschein gefahren ist – doch diese Hetze zeigt nur, dass ihnen die Leben von Migrant*innen weniger wert sind und ihre krasse autoritäre Haltung. Es
gibt für uns keine Rechtfertigung. Sie haben in Kauf genommen, dass Bilel getötet wird. Es ist nicht ihr Verdienst, dass er überlebt hat. Bilel hat gekämpft, und deshalb
lebt er noch!
Menschen, die so aussehen wie Bilel, wissen zu gut, dass diese Schüsse nicht nur Einen getroffen haben. Sie haben uns alle getroffen. Jede*r von uns hätte an seiner Stelle sein können: Bilel ist unser Sohn, unser Bruder, unser Cousin und unser Freund.
Viele in diesem Land werden schwer oder nie den Rassismus nachvollziehen können: Warum Menschen in Panik geraten, wenn Zivilpolizist*innen sie nachts kontrollieren wollen. Warum eine Kontrolle nie normal ist, sie nie wissen was einem passieren wird.Und hier sieht man es wieder. Warum fällt es so leicht, an die Unschuld der Polizist*innen zu glauben, aber nicht an die Bilels?
Warum fällt es so leicht, die Jugendlichen, die ihre Wut auf die Straße tragen, zu verurteilen und als gefährlich zu bezeichnen? Warum wird nicht gesehen, dass wir für
das Leben kämpfen, weil wir wissen wie viel unser Leben wert ist. Anstatt ihrer Wut, ihrer Trauer und legitimen Kritik an der Polizei zuzuhören und Ernst zunehmen wurden die Teilnehmenden der Demo, insbesondere die Jugendlichen
aus Herford, massiven Repressionen ausgesetzt. Ob Gefährderansprachen im Vorhinein, heftiges Polizeiaufgebot und Provokationen während der Demo oder Vorladungen zur Polizei und Anzeigen im Nachhinein – mit allen Mitteln versucht die Polizei, den Protest und Kritik, die sich direkt an sie richtet, zu verhindern.
Was sagt es über dieses Land aus, wenn der Ruf auf der Straße nach Gerechtigkeit als Gefahr gesehen wird, aber nicht die unzureichende Aufklärung von Polizeigewalt oder
die Kälte und die Gleichgültigkeit, die dem Schicksal von Bilel entgegengebracht wird.
Die Polizei lügt! Sie hat oft gelogen, sie lügt auch in Herford. Selbst wenn Staatsanwaltschaft und Gutachter sagen, dass die Version der Polizei, nicht stimmen kann, soll man nicht sagen, dass sie lügen?
Viele der Informationen über Fälle von rassistischer Polizeigewalt sind heute nur öffentlich und bekannt, weil Initiativen wie die Initiative Amed Ahmad, Oury Jalloh
und die Initiative 19. Februar dafür gearbeitet und gekämpft haben und es weiterhin tun. Weil sie immer und immer wieder Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit
einfordern. Vor allem aber kämpfen sie auch gegen das Vergessen.
Wir wissen, dass wir uns nicht auf die staatlichen Behörden und deren Ermittlungen verlassen können. Wir wissen, dass sie generell und vor allem für uns keine Sicherheit
bedeuten, sondern eher das Gegenteil. Wir müssen selbst aktiv sein, auf die Straße gehen, Widerstand leisten und für Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit für
unsere Brüdern und Schwestern kämpfen!
Nur wir können es tun und es ist höchste Zeit dafür! Denn wir sehen, dass Nazis und Faschisten gerade immer mehr an Stärke gewinnen. Zwei-Drittel der Menschen in Hessen und Bayern haben (im Sommer 2023) aktiv faschistische und rechts-konservative Parteien gewählt. Sie haben damit gezeigt, dass sie deren rassistische und menschenfeindliche Politik unterstützen.
Bilel ist mit 34 Kugeln beschossen worden. Aber diese Kugeln sind nicht das einzige, mit dem geschossen wurde. In Herford haben wir den Rechtsruck dieser Gesellschaft
gespürt, und er hat scharf geschossen. Aus 6 Waffen, aus der Presse, aus dem rassistischen Mob im Internet, diese Gesellschaft hat geschossen.
Wir müssen uns dem entgegenstellen! Solidarität mit Bilel heißt, mit jedem anderen, der getroffen wurde und werden könnte, zusammen zu stehen.